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"2007 war ein gutes Jahr für die HIV-Forschung" / Interview mit Prof. Dr. med. Norbert H. Brockmeyer, Sprecher des Kompetenznetzes HIV/AIDS, zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember

Geschrieben am 26-11-2007

Bochum (ots) - UNAIDSs hat die weltweiten HIV-Infektionszahlen im
aktuellen Jahresbericht deutlich nach unten revidiert. Waren 2006
noch 39,5 Millionen mit dem Aids-Erreger infiziert, sind es heute
"nur noch" 33,2 Millionen. Haben wir die Infektionskrankheit nun doch
bald "im Griff"?

Nein, ganz und gar nicht. Nur die Statistik ist verbessert worden.
Früher gab es fast nirgendwo in Afrika systematische
Gesamtuntersuchungen zur Gesundheit der Bevölkerung. In den letzten
Jahren aber sind in immer mehr Ländern neue Methoden der
repräsentativen Stichprobenerhebung eingeführt worden. Und diese
zeigen deutliche Abweichungen gegenüber früheren Hochrechnungen.

Verleitet die Korrektur der HIV-Infektionszahlen nach unten die
Menschen nicht dazu, auf Präventionsmaßnahmen zu verzichten?

Ich glaube nicht, dass nüchterne statistische Zahlen das Sexual-
und Gefühlsleben der Menschen unmittelbar beeinflussen. Zudem ist
dies nicht erste Korrektur, die die UNAIDS an ihren Statistiken
vornimmt. 2002 hatte die veröffentlichte Zahl der HIV-Infizierten den
Rekordwert von 42 Millionen erreicht, 2005 waren es 40,2 Millionen
und 2006 dann 39,5 Millionen - obwohl sich die Immunschwächekrankheit
real in allen Jahren weiter ausgebreitet hat. Entwarnung kann daher
nicht gegeben werden.

Wie beurteilen Sie die Bilanz der weltweiten HIV-Medizin für das
Jahr 2007?

Es war ein gutes Jahr - und das aus verschiedenen Gründen: Für die
Patienten ist es wichtig, dass ihnen mit zwei völlig neuen
Medikamentenklassen erweiterte Therapieoptionen zur Verfügung stehen.
Das ist mit Raltegravir der erste Integrase-Inhibitor, der gezielt
ein Enzym blockiert, das Das HI-Virus zur Replikation benötigt. Und
Maraviroc, der als sogenannter CCR5-Antagonist HIV daran hindert, in
die Wirtszellen des Menschen einzudringen. Darüber hinaus gibt es
neue Kinderformulierungen bewährter antiretroviraler Substanzen, die
nicht gekühlt werden müssen, und sich somit hervorragend für die
Therapie in Entwicklungsländern eignen. Neben diesen Neuzulassungen
ist 2007 insgesamt ein sehr erfolgreiches Jahr für die Aidsforschung.
Es werden viele neue Ansätze verfolgt - und ein Teil davon kommt aus
Deutschland. Dies ist der Beweis dafür, dass hierzulande eine
exzellente HIV-Forschung betrieben wird, trotz der im Vergleich zu
anderen Industrienationen geringere Förderung, die sich durchaus mit
internationalen Maßstäben messen lassen kann.

Können Sie Beispiele für eine exzellente deutsche HIV-Forschung
geben?

Da sind unter anderem die Arbeiten von Prof. Karin Mölling zu
nennen. Sie entdeckte einen Mechanismus, mit dem der Abbau des
Erbguts von Retroviren eingeleitet wird - und zwar noch bevor eine
Sicherungskopie des genetischen Codes zur Produktion neuer
Viruspartikel erfolgen kann. Ein Forscherteam aus Ulm und Hannover
zeigte, dass ein bestimmtes Protein, ein Fragment von
Alpha-1-Antitrypsin, HIV am Eindringen in die Wirtszelle blockiert.
Auf besondere Medienresonanz stieß jedoch die Mitteilung, dass es
Forschern aus Hamburg und Dresden unter Laborbedingungen gelungen
ist, die Erbsubstanz des HI-Virus aus dem aus dem Erbgut infizierter
Zellen quasi herauszuschneiden. Auch wenn mit diesen Arbeiten noch
kein Durchbruch in der Aidsforschung gelungen ist, so haben die
deutschen Forscherteams doch völlig andere Wege beschritten als
bisher üblich. In Bezug auf die Arbeit im Kompetenznetz möchte ich
erwähnen, dass Forscher aus dem Kompetenznetz an internationalen
Impfprogrammen mitarbeiten und innovative Therapien in den Zentren
erforscht werden.

Aber es gab doch auch eine völlig unerwartete Niederlage, als im
September eine große vielversprechende Vakzine-Studie gestoppt
wurde...

Rückschläge und Enttäuschungen gibt es in der Forschung immer.
Auch davon lebt die Wissenschaft. Denn nach Niederlagen stellt man
sich neu auf und verfolgt andere Hypothesen, die möglicherweise zum
Durchbruch führen. Allerdings finden Rückschläge große mediale
Beachtung. Die Forscher sind aufgrund des Stopps dieser
Vakzine-Studie weit davon entfernt, allgemeine Rückschlüsse auf die
Wirksamkeit von Impfstoffen bei HIV zu ziehen. Immerhin gibt es etwa
30 weitere Impfstoffkandidaten in der Pipeline. Im vergangenen Jahr
wurden in Deutschland 2.611 neue HIV-Infektionen gemeldet. Das ist
eine im internationalen Vergleich geringe Zahl. Nun, im Jahr davor
waren es 2.490. Das sind keine enorm hohen Zahlen, aber sie beweisen:
Aids ist noch immer eine Gefahr. Und es gilt zu bedenken, dass nun
eine Generation sexuell aktiv wird, die die Zeiten der dramatischen
Aids-Todesfälle nicht erlebt haben. Zudem erlebt die Bevölkerung,
dass HIV-Infizierte dank medizinischer Fortschritte heute eine
wesentlich höhere Lebenserwartung haben. Dadurch ist allerdings die
Angst vor einer HIV-Infektion aus dem Bewusstsein vieler Menschen
verschwunden, und dies hat möglicherweise Einfluss auf ihr
Schutzverhalten. Daher drängt sich die Suche nach neuen, zusätzlichen
Wegen in der Prävention auf.

Engagiert sich das Kompetenznetz denn auch in der Prävention?

Ja, zusammen mit der der Deutschen Aids-Hilfe sind wir der
Ansicht, dass Ärzte vielmehr in die Präventionsarbeit der
HIV-Infektion und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten mit
einbezogen werden müssen. Wir arbeiten daher gemeinsam in einem
Forschungsprojekt an der Frage, welche Hindernisse einer offenen und
vertrauensvollen Kommunikation über Sexualität Patienten und Ärzten
im Wege stehen. Übrigens können wir (zusammen mit anderen
Organisationen) gerade einen Erfolg vermelden: das Kompetenznetz hat
sich seit Jahren dafür eingesetzt, dass allen Schwangeren in
Deutschland ein HIV-Test angeboten wird, um eine eventuelle Infektion
des Kindes zu verhindern. Vor zwei Wochen nun hat der Gemeinsame
Bundesausschuss der Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen endlich
den Weg für die kostenlose HIV-Testung freigegeben. Die Beratung der
Schwangeren wird im Mutterpass festgehalten - nicht jedoch, ob ein
Test erfolgte oder gar das Ergebnis.

Führt denn die Schwangerschaft nicht zu einer gefährlichen
Progression der HIV-Infektion der Frau?

Diese Frage stand in der Tat lange im Raum. Nach den Ergebnissen
einer Kohortenstudie hat eine Schwangerschaft jedoch keine
nachteiligen Auswirkungen auf die Progression einer HIV-Infektion. Es
war sogar eine protektive Wirkung erkennbar (JID 2007; 196:
1044-1052).

Herr Professor Brockmeyer, wagen Sie einen Ausblick der
HIV-Forschung auf die nächsten Jahre?

Die HIV-Therapie wird sich grundlegend ändern. Wir werden wieder
früher beginnen die Patienten zu behandeln und wir werden mit anderen
Medikamenten-Kombinationen therapieren und neue Therapiestrategien
entwickeln bis hin zur Monotherapie. Die Forschung wird weitere
Medikamente mit ganz unterschiedlichen Möglichkeiten der Virushemmung
und der Beeinflussung des Abwehrsystems der Zelle bereitstellen und
letztendlich bin ich davon überzeugt, dass wir in absehbarer Zeit
einen Impfstoff-Kandidaten haben, der geeignet ist, in
Hochprävalenzgebieten die Epidemie zu kappen.

Originaltext: Kompetenznetz HIV/AIDS
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/69112
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_69112.rss2

Pressekontakt:
Sprecher
Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer
Klinik für Dermatologie und Allergologie
der Ruhr-Universität Bochum
Gudrunstraße 56, 44791 Bochum
Phone: +49 (0) 234 509 -3471, -3474
Fax: +49 (0) 234 509 -3472, -3475
E-Mail: n.brockmeyer@derma.de

Wissenschaftliche Koordinatorin
PD Dr. Adriane Skaletz-Rorowski
Klinik für Dermatologie und Allergologie
der Ruhr-Universität Bochum
Gudrunstr. 56, 44791 Bochum
Phone: +49 (0) 234 509 -3486
Fax: +49 (0) 234 509 -3483
E-Mail: a.skaletz@klinikum-bochum.de


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