Westdeutsche Zeitung: PISA = von Anja Clemens
Geschrieben am 04-12-2007 |
Düsseldorf (ots) - Glaubt man den Kultusministern, so scheint die Welt an Deutschlands Schulen fast wieder in Ordnung zu sein. Von "erfreulichen Nachrichten", "Zuversicht" und "positiven Zeichen" wird da nach der Vorstellung der neuen Pisa-Studie geschwärmt. Hat da jemand die Statistiken nicht richtig gelesen? Es müssen keine Analysten bemüht werden, um zu erkennen, dass es keinen Grund dafür gibt, sich an den Ergebnissen zu berauschen. Deutschland ist zwar Weltspitze - aber nach wie vor nur bei der Benachteiligung von Migranten- und Arbeiterkindern. Ein Titel, auf den niemand stolz sein kann und der die respektablen Erfolge der 15-Jährigen im Bereich Naturwissenschaften leider in den Hintergrund treten lässt. Die Verfasser der Pisa-Studie legen erneut den Finger in die noch offene Wunde unseres Schulsystems. Allen Reformanstrengungen zum Trotz hat die Bildungspolitik in den sechs Jahren seit dem ersten Pisa-Schock kein wirkliches Rezept gefunden, Kindern aus bildungsfernen Schichten die gleichen Chancen zu eröffnen wie dem Nachwuchs aus der Mittel- und Oberschicht. Das ist - wie Bundespräsident Horst Köhler dieser Tage trefflich formulierte - nicht nur eine "unentschuldbare Ungerechtigkeit", sondern auch eine Vergeudung von Humankapital. Eine Gesellschaft mit immer weniger Kindern und einem steigenden Bedarf an gut ausgebildeten Menschen kann sich diesen Missstand nicht lange leisten, will sie nicht ihrer Wirtschaft schaden und den Aufschwung lähmen. Die Politik versucht derzeit den Anschein zu erwecken, den in den 70er und 80er Jahren erbittert geführten Gesamtschul-Streit nicht wieder aufleben lassen zu wollen. Abgesehen vom Gymnasium, das sakrosankt bleibt, wird jedoch quer durch die Bundesländer über den Verzicht auf Hauptschulen und die Einführung von Gemeinschaftsschulen diskutiert. Man muss auch nicht gleich wie Pisa-Chef Schleicher einen radikalen Umbau des Systems fordern. Es wäre schon hilfreich, eine längere Grundschulzeit durchzuspielen. Immerhin hat die Iglu-Studie gezeigt, dass dort soziale Unterschiede noch am besten kompensiert werden und individuelle Förderung ihren Namen auch verdient. So lange sich an dieser Front aber nichts bewegt, gibt es für Deutschlands Schulen keine Entwarnung.
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