WAZ: Benazir Bhutto ermordet - Pakistan steht am Abgrund - Leitartikel von Lutz Heuken

Essen (ots) - Benazir Bhutto ist tot. Die Frau wurde von ihren
Anhängern glühend verehrt, Gegner warfen ihr Machtversessenheit und
Korruption vor. Der politische Mord kann das zerrissene Land in
seinen Grundfesten erschüttern, die internationalen Auswirkungen sind
noch gar nicht abzusehen.

Pakistan ist kein Dritte-Welt-Land im klassischen Sinn. Islamabad
besitzt Atomwaffen, der Dauerstreit mit dem ebenfalls atomar
bewaffneten Nachbarn Indien gilt als der vielleicht gefährlichste
Konflikt der Welt. Vor allem aber ist Pakistan der entscheidende
Staat im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Fällt das Land
in die Hände von Islamisten, es wäre mehr als nur ein Rückschlag für
den Westen.

Über Jahre hinweg haben deshalb vor allem die USA den
Militärdiktator Pervez Musharraf ungeachtet aller
Menschenrechtsverletzungen unterstützt. Lange Zeit galt er als enger
Verbündeter, als Garant, dass die moslemischen Extremisten in
Islamabad nicht an die Macht gelangen. Erst in jüngster Vergangenheit
drängte Washington Musharraf zum Einlenken, zu Kompromissen mit
seiner Erzfeindin Benazir Bhutto.

Der Zeitpunkt des Attentats so kurz vor den geplanten Wahlen am
8. Januar lässt viel Raum für Spekulationen. Stecken
Moslem-Extremisten dahinter, denen die mächtige Frau schon immer
verhasst war? Oder sind Geheimdienstkreise involviert, die sich mit
allen Mitteln an die Macht klammern? Womöglich wird man das nie
aufklären.

Wie nahe Pakistan am Abgrund steht, zeigte sich erst im letzten
Sommer. Radikale Koranschüler besetzten die Rote Moschee in
Islamabad, provozierten so über Tage die hochgerüstete Staatsmacht.
Erst nach einer Woche wagte Militärdiktator Musharraf, das makabre
Schauspiel vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu beenden. Über
hundert Menschen starben bei der Erstürmung des Gotteshauses. Seitdem
wollen die Putschgerüchte nicht verstummen.

Mit Benazir Bhutto starb eine charismatische Frau aus einer
Politiker-Dynastie. 1988 wurde sie als erste Frau Regierungschefin in
einem islamischen Staat. Auch ihr Vater Zulfikar Ali Bhutto führte
die Regierung - in den 70er Jahren. Er wurde von einem
Militärdiktator gestürzt und hingerichtet. Es scheint, als liege ein
böser Fluch auf dem Hause Bhutto. Und auf Pakistan. Dass das Land
nach dem gestrigen Mord innehält und sich besinnt, ist eher frommer
Wunsch denn realistische Chance.

Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
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