ARD Medienpreis CIVIS im Auswärtigen Amt an Autoren, Regisseure und Journalisten verliehen - Pleitgen warnt vor Verharmlosung fremdenfeindlicher Tendenzen in der Gesellschaft
Geschrieben am 11-05-2006 |
Köln (ots) - Berlin, 11.05.2006. Sieben Autoren, Regisseure und Journalisten sind am Mittwochabend im Auswärtigen Amt in Berlin mit dem ARD Medienpreis CIVIS für Integration und kulturelle Vielfalt geehrt worden. Mit der Auszeichnung werden Fernseh- und Hörfunkproduktionen gewürdigt, die sich in herausragender Weise mit den Themen Zuwanderung, Integration und kulturelle Vielfalt beschäftigen und geeignet sind, das friedliche Zusammenleben in der europäischen Einwanderungsgesellschaft zu fördern.
Der Vorsitzende des Kuratoriums der CIVIS medien stiftung, WDR Intendant Fritz Pleitgen, warnte vor der Verharmlosung rechtsradikaler und fremdenfeindlicher Einstellungen in der Gesellschaft. "Hier blühen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit und Phobien gegenüber allen Menschen, die irgendwie anders sind. Das ganze ist mit hoher Gewaltbereitschaft verknüpft. Wäre dies nicht schon Besorgnis erregend genug, belegen sehr ernst zu nehmende Studien, dass die Bereitschaft auch in der Mitte unserer Gesellschaften wächst, rechtsradikales Gedankengut und Handeln zu tolerieren und zu rechtfertigen. Auch hier gibt es eine zunehmend spürbare Tendenz zu Ab- und Ausgrenzung, Verachtung und Diskriminierung. Wir müssen aufpassen, dass die Liberalität unserer Gesellschaften nicht auf der Strecke bleibt in Folge allzu engstirniger und ängstlicher Integrationsdebatten einerseits und der Beschwichtigung neonazistischer Gewaltideologien andererseits. Hier geht es um Kernfragen der Demokratie in Europa. Hier sind die Medien in ganz besonders intensiv gefordert." Der WDR-Intendant teilte zugleich mit, dass sich das ZDF künftig an der Verleihung des Medienpreises CIVIS beteiligen wird.
Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier verwies auf die Bedeutung der Integration und die Notwendigkeit in der globalisierten Welt, die Potenziale von Migranten nutzbar zu machen. "Wie selbstsicher eine Gesellschaft ist, das wird davon bestimmt wie gut diese Gesellschaft mit dem Fremden in der eigenen Gesellschaft umzugehen gelernt hat. Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir über das Fremde in der Nachbarschaft viel zu wenig wissen, manchmal viel mehr wissen müssten."
Der ARD Medienpreis CIVIS wurde von fünf Jurys unter Vorsitz der Regisseurin Buket Alakus, der Schauspielerin Suzanne von Borsody, des Fernsehmoderators Frank Elstner, des BR-Hörfunkdirektors Dr. Johannes Grotzky und von Prof. Rudolf Sarközi, Obmann des Kulturvereins österreichischer Roma, vergeben. Die Ehrungen wurden in einer festlichen Preisverleihung von WDR-Intendant Pleitgen, Außenminister Steinmeier, Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit, Prof. Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Dagmar Reim, Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), Miroslav Nemec, Fernsehschauspieler und Musiker, Dr. Reinhart Freudenberg, Vorsitzender des Kuratoriums der Freudenberg-Stiftung. ARD-Fernsehmoderatorin Sandra Maischberger moderierte die Preisverleihung.
Der Europäische CIVIS-Fernsehpreis im Bereich Information ging an den Autor und Regisseur Patric Jean für die Dokumentation Das Recht des Stärkeren (ARTE, 2005). Der Film zeigt die bedrückende Lage von Einwanderern in den multiethnischen Vororten französischer und belgischer Großstädte. Hohe Arbeitslosigkeit, soziale Benachteiligung und gesellschaftliche Ausgrenzung kennzeichnen die Lage vieler Einwanderer in den Banlieues. "Dem Autor Patric Jean gelingt es, in emotional bewegenden Bildern, die Lebenssituation von Menschen deutlich zu machen, die üblicherweise nicht zu Wort kommen. Jedes Bild zwingt zum Nachdenken. Der Film fordert Aufmerksamkeit für die dramatische Entwicklung in unseren multikulturellen Vorstädten. Ein eindringlicher Film und eine herausragende journalistische wie filmische Leistung", lobte die Jury.
Den Deutschen CIVIS-Fernsehpreis im Bereich Information erhielt die Dokumentarfilmerin und Journalistin Nicola Graef für ihre Dokumentation Der Feind im Haus. Wenn aus Kindern Nazis werden in der WDR-Fernsehreihe "Menschen hautnah" (WDR, 2005). Der Film begleitet zwei Familien und zeigt, was es für die Eltern bedeutet, wenn ihre Kinder in die rechtsradikale Szene abrutschen: endlose Debatten, Gewalt, Waffenbesitz, Zusammenstöße mit der Polizei - schlimme Jahre, eine verlorene Zeit. "Die Autorin Nicola Graef begleitet die Familien und die Jugendlichen ohne voyeuristische Perspektiven. Ihr gelingen Bilder und Aussagen von beeindruckender Offenheit. Sie konfrontieren den Zuschauer mit der Hilflosigkeit der Familien, die unerträglich scheint. Der Film zeigt aber auch, dass die Probleme mit Entschlossenheit überwunden werden können. Eine beeindruckende Dokumentation mit nachhaltiger Wirkung", urteilte die Jury.
Mit gleich zwei CIVIS-Auszeichnungen wurde die RTL II-Reportage Das Experiment - 30 Tage Moslem von Silke Pollmeier bedacht. Die Reportage, die sich an ein jüngeres Fernsehpublikum richtet, zeigt die Erfahrungen der großen, blonden 26-jährigen Steffie, die für 30 Tage in das Leben einer strenggläubigen arabischen Familie in Berlin eintaucht. Das Ergebnis überzeugte sowohl die europäische als auch die deutsche Fernsehjury: Silke Pollmeier wurde daher mit dem Europäischen CIVIS-Fernsehpreis und dem Deutschen CIVIS-Fernsehpreis jeweils im Bereich Unterhaltung geehrt. "Die RTL II Reportage lässt sich ein auf eine den meisten Zuschauerinnen und Zuschauern fremde muslimische Welt. Die Autorin Silke Pollmeier gibt Einblick in unterschiedliche Wertesysteme und zeigt nachvollziehbar die Verständnisschwierigkeiten im Umgang der Kulturen. Vorgestellt werden weder Helden noch Schurken. Die andere Lebensweise wird Teil der gemeinsamen Normalität. Die eindrucksvolle Leistung der Reporterin Steffi wie auch das hohe ästhetische Niveau der Reportage tragen entscheidend zur Wirkung bei," lobten beide Jurys.
Der Deutsche CIVIS-Hörfunkpreis im Bereich lange Programme ging an die Autorin Eleni Torossi für das Feature Verlassen und auf sich selbst gestellt. Die Kinder der Gastarbeiter (BR, 2005). Das in der Reihe Notizbuch des Bayerischen Rundfunks gesendete Feature schildert die Situation griechischer Gastarbeiter-Kinder, deren Eltern in den 50er bis 70er Jahren nach Deutschland ausgewandert waren und erst später ihre Kinder nachholten. "Das BR-Feature gibt Einblick in konstante Kindheitsmuster und deren prägende Wirkung auf das Leben der heute Erwachsenen. Der Autorin Eleni Torossi gelingt es, in diesem formal wie inhaltlich herausragenden Feature, die Authentizität der Aussagen zu wahren und darin das gemeinsam Erlebte hörbar zu machen. In sehr persönlichen Erinnerungen wird die Lebenswirklichkeit der zweiten Generation der Zugewanderten nachvollziehbar deutlich," so das Urteil der Jury.
Der Deutsche CIVIS-Hörfunkpreis im Bereich kurze Programme wurde an Osman Engin für seinen Magazin-Beitrag Ich bin Papst (WDR, 2005) in der Funkhaus Europa-Sendung Cosmo vergeben. Die knapp dreiminütige Satire nimmt auf humorvolle Weise einen Sprachtest zur Einbürgerung auf's Korn, bei dem der Türke Osman den deutschen Text "Wir sind Papst" vorlesen muss. Aus der Jury-Begründung: "Der WDR-Magazinbeitrag spielt humorvoll mit alltäglichen Vorurteilen und Klischees. Dem Autor Osman Engin ist eine beeindruckende Satire gelungen über die deutsch-türkischen Beziehungen und die oft absurden Situationen im Umgang mit vermeintlichen Ausländern. Gerade die kurze Sendeform ist besonders geeignet, ein Massenpublikum positiv anzusprechen."
Mit dem Young CIVIS media prize wurde die Regisseurin Cerin Hong für ihren Dokumentarfilm Ise Kyopos - die 2. Generation der im Ausland lebenden Koreaner ausgezeichnet. Die Abschlussarbeit an der Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM) zeigt das Leben junger Frauen koreanerischer Abstammung, die einen gänzlich anderen Lebensstil pflegen als ihre in den 60er und 70er Jahren nach Deutschland eingewanderten Eltern. Die Autorin zeige "einen authentischen Einblick in die Erfahrungswelt junger Frauen, deren Eltern aus Korea stammen. Sie beschreibt nachvollziehbar das Lebensgefühl einer Generation zwischen zwei Kulturen. Der Autorin gelingt es, im Medium Fernsehen eigene Erfahrungen zu spiegeln und lebendig zu gestalten. Eine Dokumentation von hoher formaler Ästhetik", so die Jury.
Der Europäische ROMA Fernsehpreis geht an die spanische Fernsehjournalistin Pilar Requena für ihre Dokumentation Gypsies: Europeans without a State (Televisión Española, 2005). "Die Dokumentation zeigt die Situation der Roma in der Europäischen Union als gesamteuropäische Herausforderung. Die profunde und vielschichtige Darstellung macht ein europäisches Phänomen sichtbar, in dem Armut und Ausgrenzung tägliche Erfahrung sind. Der Wunsch nach schulischer Bildung und verbesserten Lebenschancen wird überdeutlich. Der Autorin gelingt eine differenzierte Darstellung und eine für das Medium Fernsehen optimale Gestaltung. Eine beeindruckende journalistische und filmische Leistung", stellte die Jury in ihrer Begründung fest.
Die europäische CIVIS-Fernsehjury sprach eine Lobende Erwähnung für das integrative, medienpädagogische Projekt MUNDO der Finnish Broadcasting Company (YLE) aus. MUNDO bedeutet Media Education and Work Training; das Projekt sucht im Medienbereich nach neuen Perspektiven für Toleranz und multikulturelles Verständnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. MUNDO bietet Einwanderern und ethnischen Minderheiten in Finnland die Möglichkeit einer hochqualitativen Aus- und Weiterbildung in den Medien. Die Lobende Erwähnung gilt fünf außergewöhnlichen Kurzdokumentationen von MUNDO zum Thema Integration und kulturelle Vielfalt, die ausnahmslos von Einwanderern erstellt wurden.
Um einen CIVIS-Medienpreis hatten sich im europäischen Wettbewerb insgesamt 354 Programme beworben. Der ARD Medienpreis CIVIS wird von der ARD, vertreten durch den Westdeutschen Rundfunk, gemeinsam mit der Freudenberg Stiftung in allen 25 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und der Schweiz ausgeschrieben. CIVIS wird vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV), von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, dem Europäischen Parlament, der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC), ARTE, 3sat, dem Österreichischen Rundfunk (ORF), PHOENIX, der SRG SSR idée suisse, der Europäischen Rundfunkunion (EBU), der ungarischen Stiftung Autonómia und der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" unterstützt.
Der ARD Medienpreis CIVIS ist mit insgesamt 47.000 Euro dotiert.
Weitere Infos unter http://civis.ard.de
Originaltext: ARD Das Erste Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=6694 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_6694.rss2
Fotos von der Preisverleihung unter: www.ard-foto.de
Pressekontakt: Uwe-Jens Lindner, WDR Pressestelle Telefon 0173 546 90 44, uwe-jens.lindner@wdr.de
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