Allg. Zeitung Mainz: zu Verdi
Geschrieben am 27-03-2008 |
Mainz (ots) - Die Gewerkschaften haben harte Jahre hinter sich: Mitgliederschwund und ein zunehmendes Gefühl der Ohnmacht bei Tarifverhandlungen, bei denen sie nicht selten nach der Maxime "friss, Vogel, oder stirb" abgespeist wurden. Auch die allermeisten Arbeitnehmer haben harte Jahre hinter sich: die Reallöhne sind deutlich gesunken. Zudem ging die Angst um den Job um, vielerorts ist das noch immer so. Das war wahrlich nicht die Zeit, deutliche Forderungen zu stellen. Nun aber zeigen sich Silberstreifen am Horizont. Die Konjunktur ist im Aufwind, auch die Kassen des Staates füllen sich. Otto Normalarbeitnehmer aber schaut in sein Portemonnaie und stellt verärgert fest, dass bei ihm kaum etwas ankommt. Ist es da ein Wunder, dass der Ruf nach höheren Einkommen nicht nur lauter, sondern auch schärfer wird? Der Schlichter Herbert Schmalstieg, ein alter Fahrensmann, legt den Finger in die Wunde: nach Lohnverzicht gebe es Nachholbedarf bei den Arbeitnehmern. Deutlicher formuliert: Niemand kann auf längere Sicht in dem Bewusstsein arbeiten, dass er der Letzte ist, den die Hunde beißen, der Dumme, der sich zu gutmütig verhält. Fast schon ein Fanal war in diesem Zusammenhang die Tarifauseinandersetzung, die die Lokführergewerkschaft GDL mit der Bahn ausfocht - und letztlich massive Verbesserungen erkämpfte. Und was den Lokführern recht ist, das soll der selbstbewussten Gewerkschaft Verdi und ihrem noch selbstbewussteren Chef Bsirske nach eigenem Verständnis billig sein. Deshalb geht es bei der Tarifauseinandersetzung im Öffentlichen Dienst jetzt nicht nur um Lohnprozente und Arbeitszeit, sondern ums Prinzip. Es droht ein Psychokrieg. Nun fordert die Gewerkschaft von den Arbeitgebern, dass sie das tun, was die Arbeitnehmerseite in den vergangenen Jahren tun musste: deutlich über die Schmerzgrenze hinauszugehen. Davon aber kann bei einem Angebot von vier plus zwei Prozent noch nicht recht die Rede sein. Es wäre fast ein Wunder, wenn dieser Streit ohne Streik abginge.
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