"Filmemachen ist wie Kochen" Regisseur Michael Winterbottom über moralische und unmoralische Geschichten, Glücksjäger und Großaufnahmen.
Geschrieben am 17-04-2008 |
München (ots) -
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'Das Reich und die Herrlichkeit': Meisterwerke Matinée, Sonntag, 20. April, 09.15 Uhr auf Tele 5
Der Brite Michael Winterbottom (47) ist einer der besten, interessantesten und erfolgreichsten europäischen Filmemacher. Ein Vielfilmer, der bisher in 19 Jahren 19 Filme gedreht hat - durchweg von herausragender Qualität. Im Stil eines Francois Truffaut ist Winterbottom in sehr verschiedenen Genres zuhause, dreht Komödien und Dramen. Mit der Flüchtlingsgeschichte 'In this World' gewann Winterbottom vor fünf Jahren bei den Berliner Filmfestspielen den Goldenen Bären. Zum zweiten Mal verfilmte er nach 'Jude' 2001 mit 'Das Reich und die Herrlichkeit' eine literarische Vorlage von Thomas Hardy: Die Geschichte eines missglückten Erlösungsversuchs. Winterbottom hat sie allerdings aus dem England des 19. Jahrhunderts in den Wilden Westen versetzt, und einen typischen Winterbottom-Stoff daraus gemacht: Episch, leidenschaftlich und konsequent.
Tele 5: Gegenüber scheinbar "kleineren" Filmen von Ihnen, ist 'Das Reich und die Herrlichkeit' episches, großes Kino. Signalisiert das einen Stilwandel?
Winterbottom: Nein, sicher nicht. 'Das Reich und die Herrlichkeit' ist für mich in gewissem Sinn auch ein kleiner Film; es handelt sich wesentlich um eine Familiengeschichte: Ein Vater, der das Schlimmste tut, was er tun kann. Der frei ist, zu tun, was er will, weil es in den Bedingungen, in denen er lebt keine vorgeordneten Regeln gibt, und der dann das Falsche tut. Aber tatsächlich war der Film schwer zu realisieren, weil es ein Historienfilm war, der im Gebirge spielte, weil wir Eis und Schnee brauchten, und Kulissen, und daher alles plötzlich ziemlich teuer wurde. Schon 1998 habe ich daran gearbeitet, doch dann mussten wir das Projekt verschieben. Dabei habe ich begriffen, dass Filme mit einem Budget von 20 Millionen oft viel schwerer zu realisieren sind, als Filme für fünf Millionen. Plötzlich muss man sich mit absurden Fragen herumquälen, etwa der, ob die Hauptfigur auch sterben darf. Denn wenn das passiert, hat der Investor Angst, dass er sein Geld nicht zurückbekommt. Mir war es aber naturgemäß sehr wichtig, die Geschichte zu erzählen, die ich erzählen wollte.
Ihr Blick: Ist er nicht sehr pessimistisch? Am Ende geht schließlich alles in Flammen auf.
Das stimmt, die Perspektive ist pessimistisch. Man erfährt zum Beispiel nicht, wie die Hauptfigur Dillon die Stadt aufgebaut hat, wie er sie kontrolliert, die bestimmte Form von Macht und Energie, die dazu nötig sind - das wären andere mögliche Geschichten gewesen. Der Pessimismus liegt in der Natur dieser Goldrausch-Geschichten: Ein paar Leute machen ein Vermögen, der Rest vergeudet sich und verschwindet. Heute handelt es sich bei den Goldgräberstädten um Geisterstädte. Denn es gibt keine andere Daseinsberechtigung für sie, als das Verlangen nach Gold. Aber gerade das macht sie interessant.
Ein bisschen ähnelt das ja auch dem Prozess des Filmemachens: Viele Leute kommen nur aus einem einzigen Zweck zusammen. Wenn der Film vorbei ist, fällt alles auseinander...
Ja genau. Das Filmen ist eine völlig künstliche Welt. In diesem Fall ganz besonders, schließlich brauchten wir etwa 200 Arbeiter, die monatelang den Set aufgebaut haben. Am Ende wurde er von uns verbrannt. Und alles was übrig blieb, war eine photographische Aufnahme.
Worin sehen Sie Parallelen zu unserer heutigen Zeit?
Es gibt viele Parallelen. Die Leute gehen nach wie vor nach Kalifornien, um ihr Glück zu machen. Voller Ehrgeiz nehmen sie weite Reisen und große Strapazen auf sich. Und damals wie heute kommen viele Leute nur aufgrund eines Mythos, nur vom Hörensagen her. Jenseits solcher Bezüge hoffe ich, dass ihre Emotionalität die Charaktere wieder erkennbar macht.
Eines der Gefühle die in ihrem Film dominieren, ist die Gier...
Ja. Ich denke, dass Gier und Ehrgeiz eng miteinander zusammenhängen, erst recht während des Goldrausches. Aber auch heute sind die Menschen weiterhin gierig, nicht wahr?
Sind Sie gierig?
Ich? Nein, bin ich nicht.
Wenn ich ein Interview mache, dann habe ich selten einen Zettel mit Fragen dabei. Es ist mehr etwas Spontanes, wie Tanzen oder Kochen... Ist so auch ihr Stil zu drehen?
Ja, mit Kochen hat Filmemachen viel zu tun. Wenn Sie zum Markt gehen, wissen Sie, was Sie kaufen wollen. Aber dann sehen Sie: das Fleisch ist schlecht, der Fisch aber sehr gut. Dann kaufen Sie den Fisch und kochen nicht trotzdem das Fleisch, bloß, weil Sie sich das so vorgenommen haben. Filme brauchen leider sehr lang. Man hat einen geringeren Output, als der Journalist. Dafür hat man mehr Zeit, über etwas nachzudenken, einen Einfall zu überdenken und vielleicht zu ändern. Es gibt mehr Zusammenarbeit: Der Kameramann, die Leute am Set, die Schauspieler. Den meisten Druck gibt es von den Financiers und Produzenten. Da gibt es oft Konflikte, die ich sehr langweilig finde. Darum habe ich manche Filme selbst finanziert. Damit keiner reinredet, mir erzählt, was zu teuer ist. Verschiedene Filme haben verschiedene Arbeitsbedingungen.
Noch einmal zurück zu Gegenwartsparallelen: Sind die Ereignisse um den Goldrausch eine Metapher für heutige Verhältnisse? Ein schnelles Auf und Ab, Glück und Risikobereitschaft spielen auch heute eine große Rolle, zum Beispiel an der Börse.
Ich denke, das was am ähnlichsten ist, sind die Eisenbahnen. Man kann sie wirklich sehr gut mit dem Internet vergleichen. Schon von der Konstruktion her: Es ging auch damals um bessere Kommunikation, um die Umformung der gegebenen Wirklichkeit, um große Veränderungsbereitschaft. Um eine Veränderung der Handels- und Geschäftswege. Aber auch, weil in den Eisenbahngesellschaften des 19.Jahrhunderts unglaublich viel Geld mit im Spiel war. Die Leute haben wie verrückt angelegt, und die Hälfte des Geldes ist einfach verschwunden, ohne dass irgendetwas gebaut worden wäre. Andere wurden sehr reich - man konnte nichts vorhersehen. Die Geschichte der Eisenbahnbauten ist wunderbar: Die Menge an Risiko, das ist die Parallele zu heute.
Was hat Sie an dem Schauplatz "Wilder Westen" gereizt?
Es war für mich erfrischend. Der Wilde Westen war ein Ort, der vieles zusammenfügt, voller Nostalgie für andere Plätze. Heute sehen wir einen Western mit ähnlicher Nostalgie. Jede Szene ist zwangsläufig eine Anspielung auf andere Filme. Dann auch der Menschenschlag. Wenn man sich mit dem wirklichen Leben der Menschen im Wilden Westen beschäftigt, dann kann man nicht anders, als beeindruckt zu sein. Die Hauptfigur Dillon ist so einer: Eine beeindruckende, kraftvolle Person. Andererseits hat er schreckliche Dinge getan.
Zum zweiten Mal haben Sie mit diesem Film einen Stoff von Thomas Hardy verfilmt: Was reizt Sie so an diesem Autor? Wie sind Sie mit dem Stoff verfahren?
Primär wollte ich eine Geschichte erzählen, die vom Goldrausch handelt. Die Basis von Hardys Geschichte 'Der Mayor von Casterbridge', die meine Vorlage bildet, ist die eines Mannes, der Frau und Kinder verkauft - und nach 20 Jahren kommen sie zurück. Diese Geschichte schien mir sehr gut auf die Amerikanisierung von Kalifornien zu passen. Sie war für mich ein adäquates Instrument, um das Durcheinander an historischen Kontexten und Verwundungen, Brüchen zu zeigen, die diese Schauplätze prägen, die Emigrantenwellen und ein geographischer Ort, der prinzipiell leer war - frei zur Eroberung und Ausbeutung. Es ging mir daher nicht primär um Hardy, die Story war ein Instrument, mit dem ich sehr frei umgegangen bin.
Hardys Stories sind aber immer auch moralische Geschichten. Auch diese hier. Davon ist in ihrem Film viel zu spüren...
Moralische und unmoralische Geschichten zugleich. Ich mag Hardys Reichtum an sich überkreuzenden, widersprüchlichen Schlussfolgerungen. Es gibt nicht eine eindeutige Lösung im Sinnes eines: Die Person tat das Richtige, diese das Falsche. Ich glaube nicht, dass mein Film eine bestimmte Botschaft hat. Mir ist es sehr recht, dass Menschen einen Film sehr verschieden verstehen können. Ich mag das. Wenn man eine Geschichte ehrlich erzählt, dann hat sie sehr verschiedene Wirkungen.
Haben Sie auch versucht, filmische Parallelen zu ziehen? 'Das Reich und die Herrlichkeit' ist ein Western, aber mit manchen Genre-Vorbildern hat er nichts gemein...
Ich wollte keinen Western drehen, der - in der Art von John Ford - die Räume öffnet, eine weite Landschaft zeigt. Im Gegenteil: Der Film hat eine fast klaustrophobische Atmosphäre. Viele Großaufnahmen von den Gesichtern, Farben reduziert. Dafür gibt es viele Echos anderer Filme, etwa die offensichtliche Parallele zu Herzogs 'Fitzcarraldo'. Aber die Wahl Nastassja Kinskis hat nichts damit zu tun, das ist kein Echo auf Klaus Kinski.
Interview: Rüdiger Suchsland
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