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Vermittlungsoffensive für Bergleute - Initialzündung für Arbeitsmarkt oder Rohrkrepierer

Geschrieben am 06-05-2008

Essen (ots) - In jüngster Zeit gab es verschiedentlich
Behauptungen im politischen Raum, die in 2007 beschlossene weitere
Rückführung des Steinkohlenbergbaus in Deutschland könnte
beschleunigt werden, ein sozialverträglicher Ausstieg sei sogar vor
2018 möglich. Denn die Konjunktur laufe gut und beispielsweise im
Handwerk gebe es derzeit einen beträchtlichen Fachkräftemangel.
Konkret wurde eine Zahl von 20.000 unbesetzten Arbeitsplätzen in
Handwerksunternehmen in Nordrhein-Westfalen genannt. Durch eine
"Vermittlungsoffensive" ließe sich eine große Zahl qualifizierter
Bergleute in anderen Wirtschaftsbereichen, insbesondere im Handwerk,
unterbringen, was dem Strukturwandel in den "Bergbaurückzugsgebieten"
zusätzlichen Schwung verleihen würde. - Solche Behauptungen gehen
jedoch an den Realitäten vorbei.

Tatsächlich wird hier eine Maßnahme vorgeschlagen, die seit langem
praktiziert wird. Eine "Handwerksinitiative" gehört seit Jahren zum
Instrumentarium des sozialverträglichen Beschäftigungsabbaus im
Steinkohlenbergbau, das noch eine ganze Palette anderer Instrumente
enthält. Die Handwerksinitiative der RAG wird längst so weit wie
möglich ausgereizt.

Schlicht falsch ist, dass die Handwerksinitiative eingestellt
wurde, wie unlängst in Zeitungsartikeln in Bezug auf Äußerungen von
Vertretern der FDP behauptet. Das Gegenteil ist der Fall. Das
Unternehmen hat in den letzten 10 Jahren in Kooperation mit der
Arbeitsagentur, mit den Handwerkskammern und mit der IHK sowie mit
Betrieben nahezu 6.500 Facharbeiter über das Instrument
"Handwerksinitiative" vermittelt. Hinzu kommen noch ca. 12.000
Bergleute, die in dieser Zeit eine berufliche Perspektive außerhalb
des Bergbaus mit Unterstützung der RAG gesucht und gefunden haben.
Davon haben viele Mitarbeiter - ohne den Weg über die
"Handwerksinitiative" zu gehen - eine Beschäftigung in
Handwerksbetrieben aufgenommen.

Die RAG jedenfalls tut alles, um interessierte Betriebe und
Mitarbeiter zusammenzuführen. Wer hier konkret helfen kann, ist
herzlich willkommen!

Auch der Nordrhein-Westfälische Handwerkertag (NWHT) hat im Januar
2008 in einer Presseinformation klar gestellt, dass man in der
Vergangenheit zwar durchaus gute Erfahrungen mit der Übernahme von
Montanarbeitnehmern im Handwerk gemacht habe, an die man anknüpfen
kann. Man dürfe "das Beschäftigungspotenzial für Bergleute im
Handwerk jedoch nicht überschätzen". Es habe sich nämlich durch die
eingetrübten konjunkturellen Perspektiven in 2008 wieder verringert -
die Zahl von 20.000 freien Stellen im NRW-Handwerk ist demnach längst
überholt - , und das Beschäftigungspotenzial des Handwerks dürfe auch
"nicht 1:1 als Verfügungsmasse für die im Zuge der anstehenden
Zechenschließungen von Arbeitslosigkeit bedrohten Kumpel verstanden"
werden. Das gilt schon deshalb, weil das Handwerk ein fachlich sehr
breit gefächertes Tätigkeitsspektrum darstellt - von A bis Z, vom
Änderungsschneider bis zum Zweiradmechaniker, umfasst es eine große
Vielfalt von Berufsfeldern. Dieses Spektrum deckt sich nur
eingeschränkt mit den im Bergbau erworbenen Qualifikationen.

Die freien Stellen im Handwerk werden in erster Linie von den
dafür direkt ausgebildeten Handwerkern besetzt. Soweit die
unmittelbare berufliche Qualifikation nicht die entscheidende Rolle
spielt, würden Bergleute zugleich mit allen anderen Arbeitssuchenden
- in NRW sind das gegenwärtig immer noch knapp 800.000 -
konkurrieren. Wenn Bergleute sich bei dieser Konkurrenz durchsetzen
und für sich einen neuen Arbeitsplatz finden, eröffnet das für sie
persönlich zwar einen neuen Berufsweg. Aber sie verdrängen auf diese
Weise andere Arbeitssuchende. Die Gesamtzahl der Arbeitsplätze
verändert sich dadurch nicht. Der Arbeitsplatzverlust im Bergbau wird
nicht ausgeglichen.

Die andere Seite der Medaille ist, dass ein erheblicher Teil der
Bergleute im Steinkohlenbergbau zur Umsetzung der kohlepolitischen
Beschlüsse selbst weiter gebraucht wird und keineswegs beliebig
vermittelt werden kann. Das unter dem Vorbehalt einer Überprüfung
durch den Deutschen Bundestag in 2012 beschlossene sozialverträgliche
Auslaufen des Steinkohlenbergbaus zum Jahr 2018 setzt eine geordnete
Rückführung voraus. Die im Vorfeld des Ende 2007 in Kraft getretenen
Steinkohlefinanzierungsgesetzes durchgeführten Modellrechnungen haben
gezeigt, dass im Steinkohlenbergbau kein Auslaufen vor 2018 möglich
ist, wenn betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden sollen. Diese
Rechnungen wurden von allen verantwortlich Beteiligten, von der
Bundesregierung über die Landesregierungen NRW und Saarland bis zur
RAG und der IG BCE anerkannt. Deshalb: Nur unter Wahrung des Termins
2018 ist eine sozialverträgliche Anpassung der Belegschaft möglich.
Im Übrigen ist auch der Revisionsklausel Rechnung zu tragen. Im Falle
einer positiven Entscheidung muss auch die Belegschaftsstruktur für
eine Fortführung vorhanden sein. Sicherlich gibt es hierzu
unterschiedliche politische Einschätzungen.

Der veröffentlichte Eindruck, man bräuchte die Bergleute nur auf
freie Stellen in Handwerksbetriebe zu vermitteln und könnte darüber
kurzfristig dem Bergbau und den Mitarbeitern helfen, ist allerdings
oberflächlich und letztendlich eine Gefährdung der angestrebten
sozialverträglichen Gestaltung des Anpassungsprozesses. Eine
ungesteuerte Abwanderung qualifizierter Mitarbeiter führt im Ergebnis
zu Personalengpässen auf notwendigen Qualifikationsebenen und an
falschen Orten. Dies gefährdet dann die Sicherstellung der
Produktions- bzw. Fördermengen, die sich als Auftrag für das
Unternehmen aus der kohlepolitischen Verständigung ergeben.

Plakativ lässt sich dies folgendermaßen darstellen: Wenn
kurzfristig nahezu alle Elektriker die RAG in Richtung
Handwerksbetriebe verlassen, kommt die Produktion auf den Bergwerken
zum Erliegen. Diese "Initialzündung" hat dann 1.000 Mitarbeiter
sozialverträglich vermittelt, aber nahezu 30.000 Mitarbeiter der RAG
können nicht weiter beschäftigt werden. Ungesteuerte
Personalanpassungsprozesse tragen das hohe Risiko in sich, dass der
Fortbestand des Unternehmens zumindest bis 2018 gefährdet wird und
die Sozialverträglichkeit nicht gewährleistet werden kann.

Wie schwierig es sein wird, die mit der weiteren Rückführung des
Steinkohlenbergbaus verbundenen Probleme für die regionalen
Arbeitsmärkte zu lösen, belegt eine Studie von Prognos über die
"Regionalökonomischen Auswirkungen des Steinkohlenbergbaus in
Nordrhein-Westfalen", die im Februar 2008 veröffentlicht worden ist.

Die Studie von Prognos hat am Beispiel des Ruhrbergbaus ermittelt,
dass von jedem Arbeitsplatz im Steinkohlenbergbau deutschlandweit 1,3
weitere Arbeitsplätze im wirtschaftlichen Umfeld abhängen, wobei
allein im Ruhrgebiet jedem Bergbau-Arbeitsplatz ungefähr ein weiterer
Arbeitsplatz zuzurechnen ist. Damit wären gegenwärtig ca. 50.000
Arbeitsplätze im Ruhrgebiet betroffen. Um bei der weiteren
Rückführung des Steinkohlenbergbaus genügend Ersatzarbeitsplätze
bereit zu stellen, ohne gleichzeitig dadurch andere
Arbeitsplatzsuchende zu verdrängen und den Arbeitsmarkt zu belasten
sowie die öffentlichen Kassen mit Mehrbelastungen durch erhöhte
Arbeitslosigkeit zu strapazieren, müsste der regionale Strukturwandel
außerhalb des Bergbaus enorm beschleunigt werden. Dazu wären
allerdings zusätzliche Mittel und Maßnahmen erforderlich, was die
Studie ebenfalls belegt.

Würden in derselben Geschwindigkeit wie z. B. in Großbritannien
neue Arbeitsplätze in Bergbauregionen geschaffen, wären die
Mehrausgaben und Mindereinnahmen der öffentlichen Hand durch den
Ausstieg aus dem Steinkohlenbergbau zwar geringer. Selbst dann würde
laut Prognos der Ausstieg aus dem Steinkohlenbergbau aber noch mehr
kosten als dessen Fortführung.

Fazit: Mit arbeitsmarktpolitischen "Wundermitteln" ist einem
realen Problem nicht beizukommen. Die freien Stellen im Handwerk
können die sozialverträgliche Beschäftigungsanpassung des
Steinkohlenbergbaus nicht beschleunigen. Das Problem des
Fachkräftemangels lässt sich bei anhaltender Arbeitslosigkeit nicht
einfach dadurch lösen, dass Beschäftigte eines Wirtschaftszweigs mit
Schlüsselfunktion in andere Stellen gedrängt werden: Ohne Elektriker
funktioniert kein Bergwerk. Die "FDP-Initialzündung" ist tatsächlich
ein "Rohrkrepierer". Eine sozialverträgliche Anpassung ist damit
nicht möglich.

Originaltext: GVSt Gesamtverband Steinkohle
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/54802
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_54802.rss2

Pressekontakt:
Gesamtverband Steinkohle
Andreas-Peter Sitte
Rüttenscheider Str. 1-3
45128 Essen
Tel.: 0201/801-4320
Fax: 0201/801-4262
E-Mail: andreas-peter.sitte@gvst.de


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