Kohlenstoffnanoröhren, die wie Asbest aussehen, verhalten sich auch wie Asbest
Geschrieben am 20-05-2008 |
Washington (ots/PRNewswire) -
- Neue Studie zeigt, dass das Einatmen langer, dünner Kohlenstoffnanoröhren zu asbestbedingten Erkrankungen führen kann
Eine bedeutende, heute in Nature Nanotechnology veröffentlichte Studie legt nahe, dass einige Formen von Kohlenstoffnanoröhren - den Paradebeispielen der "Nanotechnologie-Revolution" - genauso gesundheitsschädlich sein können wie Asbest, falls sie in entsprechenden Mengen eingeatmet werden.
In der Untersuchung wurden etablierte Verfahren eingesetzt, um festzustellen, ob spezifische Arten von Nanoröhren ein Mesotheliom hervorrufen können. Beim Mesotheliom handelt es sich um einen Krebs des Lungenepithels, der 30 bis 40 Jahre nach der Belastung entstehen kann. Die Ergebnisse zeigen, dass lange, dünne, mehrwandige Kohlenstoffnanoröhren, die wie Asbestfasern aussehen, sich auch wie Asbestfasern verhalten.
Die vor fast 20 Jahren entdeckten Kohlenstoffnanoröhren werden als der Wunderwerkstoff des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Leicht wie Kunststoff und fester als Stahl werden sie für den Einsatz in neuen Medikamenten, Batterien mit hohem Wirkungsgrad und futuristischer Elektronik entwickelt. Doch seit ihrer Entdeckung wurde auch die Frage aufgeworfen, ob diese Werkstoffe im Nanobereich eventuell gesundheitsschädlich sein könnten und den aufkommenden Markt für alle Arten von Kohlenstoffnanoröhren, ob mehr- oder einwandig, unterminieren könnten. Führende Marktforschungsfirmen sehen für die kommenden vier bis sieben Jahre einen Nanoröhren-Gesamtumsatz von jährlich bis zu 2 Mrd. USD voraus, so ein Artikel in der US-Zeitschrift Chemical & Engineering News.
"Die Studie stellt genau die Art strategischer, zielgerichteter Untersuchungen dar, die wir brauchen, um die sichere und verantwortungsvolle Entwicklung der Nanotechnologie garantieren zu können", sagte Andrew Maynard, wissenschaftlicher Chefberater des Project on Emerging Nanotechnologies (Projekt zu aufkommenden Nanotechnologien) und einer der Autoren des Berichts. "Die Studie nimmt sich einen ganz speziellen Nanowerkstoff vor, der voraussichtlich weite kommerzielle Verwendung finden wird und versucht, ganz spezifische Fragen zu einer ganz spezifischen Gesundheitsgefährdung zu beantworten. Obwohl Wissenschaftler seit Jahrzehnten wegen der Sicherheit langer, dünner Kohlenstoffnanoröhren besorgt sind, wird die Frage derzeit von keinem der strategischen, US-amerikanischen Forschungsvorhaben im Umfeld Nanotechnologie, Gesundheit und Risikoabschätzung näher untersucht."
Die umfassende Gefährdung durch Asbest gilt als die schlimmste Berufskrankheitskatastrophe in der Geschichte der USA, und die Gesamtkosten asbestbedingter Krankheiten werden voraussichtlich 200 Mrd. USD übersteigen, so die RAND Corporation, eine der bedeutendsten Denkfabriken der USA.
Dr. med. Anthony Seaton, einer der Autoren der Studie und emeritierter Professor der Universität Aberdeen in Grossbritannien, sagte: "Der Tribut durch asbestbedingte Krebserkrankungen, der erstmals in den 1950er und 1960er Jahren deutlich wurde, wird voraussichtlich noch weitere Jahrzehnte anhalten, selbst wenn der Einsatz vor ca. 25 Jahren schnell zurückging. Auch wenn es Gründe gibt, anzunehmen, dass Nanoröhren durchaus sicher eingesetzt werden können, so hängt dies doch von den entsprechenden Massnahmen ab, die ergriffen werden, um zu verhindern, dass sie dort, wo sie produziert, eingesetzt und letztlich entsorgt werden, eingeatmet werden können. Derartige Massnahmen sollten auf Forschungsergebnisse zur Gefährdung und Risikovermeidung aufbauen und in Verordnungen über ihren Einsatz münden. In Anbetracht dieser Untersuchung, deren Ergebnisse von der Royal Society in Grossbritannien bereit im Jahre 2004 vorweggenommen worden waren, können wir die für derartige Forschungsarbeiten notwendigen Investition nicht länger aufschieben."
Die von Professor Kenneth Donaldson geleitete Forschungsgruppe an der Universität Edinburgh in Grossbritannien untersuchte die möglichen, als Vorläufer des Mesothelioms bekannten, pathologischen Reaktionen auf lange und kurze Kohlenstoffnanoröhren, lange und kurze Asbestfasern und auf Russ. Das Material wurde Mäusen in den Bauchraum injiziert, was einen empfindlichen Prädiktor für die Reaktion des Lungenepithels auf lange Fasern darstellt.
"Die Ergebnisse waren eindeutig", sagte Donaldson. "Lange, dünne Kohlenstoffnanoröhren zeigten die gleiche Wirkung wie lange, dünne Asbestfasern."
Asbestfasern sind deshalb gesundheitsschädlich, weil sie dünn genug sind, um tief in die Lunge einzudringen, aber zu lang, um vom natürlichen Säuberungsmechanismus der Lunge wieder entfernt werden zu können.
Donaldson betonte allerdings, dass Teile des Puzzles noch fehlen. "Wir wissen immer noch nicht, ob Kohlenstoffnanoröhren überhaupt durch die Luft befördert und eingeatmet werden können und ob sie, falls sie in die Lunge gelangen, bis zum empfindlichen äusseren Epithel vordringen können. Doch falls sie in ausreichenden Mengen dorthin gelangen sollten, besteht die Gefahr, dass einige Betroffene, eventuell erst Jahrzehnte nach dem sie das Zeug eingeatmet haben, Krebs entwickeln", stellte Donaldson fest.
Doch zeichnet sich aufgrund der Untersuchung auch ein Silberstreifen am Horizont ab. Donaldson zufolge "verhielten sich kurze und gebogene Kohlenstoffnanoröhren nicht wie Asbest und wenn man die möglichen Gefahren langer dünner Kohlenstoffnanoröhren kennt, kann man daran arbeiten, sie unter Kontrolle zu halten. Es handelt sich also durchaus auch um gute Nachrichten und nicht etwa nur schlechte. Sie besagen einfach, dass Kohlenstoffnanoröhren und die aus ihnen gefertigten Erzeugnisse sicherer gemacht werden können."
Doch Donaldson fügte hinzu, dass die derzeitige Studie nur das faserartige Verhalten untersucht hat und damit nicht ausgeschlossen ist, dass Kohlenstoffnanoröhren die Lunge nicht auf andere Art und Weise schädigen. "Weitere Forschungsarbeiten sind notwendig, wenn wir verstehen wollen, wie wir diese Werkstoffe so sicher wie nur möglich einsetzen können", merkte er an.
Kohlenstoffnanoröhren sind aus Atom-dicken Graphitschichten geformte Zylinder. Sie können aus einer einzigen oder aus mehreren, konzentrischen Graphitlagen gebildet werden, wobei letztere mehrwandige Kohlenstoffnanoröhren ergeben. Während der Durchmesser von Nanoröhren zwischen einigen Nanometern bis zu einigen Dutzend Nanometern liegt, können sie Hunderte oder gar Tausende von Nanometern lang sein. Kohlenstoffnanoröhren gibt es in den verschiedensten Ausformungen, mit unterschiedlichen Gestalten, verschiedenen Atomanordnungen und unterschiedlichen Mengen und Arten zugefügter chemischer Verbindungen. All dies beeinflusst ihre Eigenschaften und auch die möglichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und auf die Umwelt.
"Dies sollte uns in Bezug auf die Nanotechnologie im Allgemeinen und die Kohlenstoffnanoröhren im Besonderen wachrütteln", sagte Maynard. "Gesellschaftlich können wir es uns einfach nicht leisten, diesen unglaublichen Werkstoff nicht zu nutzen, aber wir können es uns ebenso wenig leisten, es auf die falsche Art und Weise zu tun, so wie wir es beim Asbest getan haben."
Der Artikel steht auf der Website der Zeitschrift unter http://www.nature.com/nnano zur Verfügung.
Informationen zur Nanotechnologie
Nanotechnologie bietet die Möglichkeit, Dinge in der Grössenordnung zwischen 1 und 100 Nanometer zu vermessen, sichtbar zu machen, zu manipulieren und herzustellen. Ein Nanometer ist der milliardste Teil eines Meters; ein menschliches Haar ist ungefähr 100.000 Nanometer dick. Im Jahre 2007 floss die Nanotechnologie bereits in die Produktion von Waren im Werte von über 88 Mrd. USD ein. Lux Research geht davon aus, dass diese Zahl bis zum Jahre 2014 auf 2,6 Billionen USD bzw. ca. 15 % der weltweiten Gesamtproduktion ansteigen wird.
Das Project on Emerging Nanotechnologies (www.nanotechproject.org) ist eine im Jahre 2005 vom Woodrow Wilson International Center for Scholars und vom The Pew Charitable Trusts ins Leben gerufene Initiative. Sie hat zum Ziel, Unternehmen, Regierungen und die Öffentlichkeit dabei zu unterstützen, mögliche gesundheitliche und ökologische Auswirkungen der Nanotechnologie vorwegzunehmen und zu handhaben.
Website: http://www.nature.com http://www.nanotechproject.org
Originaltext: The Project on Emerging Nanotechnologies Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/70909 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_70909.rss2
Pressekontakt: Colin Finan, Tel.: +1-202-691-4321, E-Mail: colin.finan@wilsoncenter.org oder Sharon McCarter, Tel.: +1-202-691-4016, E-Mail: sharon.mccarter@wilsoncenter.org, beide vom Project on Emerging Nanotechnologies
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