Rheinische Post: Zeitbomben in Bank-Bilanzen von Thomas Reisener
Geschrieben am 16-09-2008 |
Düsseldorf (ots) - Die Zuversicht des Finanzministers ist bemerkenswert. Auch am zweiten Tag des Börsencrashs sah Peer Steinbrück gestern "keinen Anlass, an der Stabilität des deutschen Finanzsystems zu zweifeln". Die Schätzung des Internationalen Währungsfonds, nach der die Bankenkrise eine Billion Dollar vernichtet, kanzelte er als "nicht hilfreich" ab. Sie trüge nur "zur weiteren Verunsicherung" bei. Aber ist ein bisschen Verunsicherung nicht angemessen, wenn die Welt Zeuge einer "Kernschmelze des Bankensystems" (Börsen-Zeitung) wird? Allein in den USA hat diese Kernschmelze innerhalb eines Jahres zwölf Finanzkonzerne entweder vernichtet oder unter staatliche Obhut gezwungen. Zuletzt drei der weltgrößten Investmentbanken: Giganten der Weltwirtschaft, die rund um den Globus Börsengänge und Firmenfusionen organisiert haben. Sie waren der Nabel der globalen Finanzarchitektur. In Deutschland war die SachsenLB das erste Opfer. Gefolgt von der Düsseldorfer IKB-Bank, die auch mit 9,8 Milliarden Euro Steuergeldern nicht zu retten war. Die Rückversicherer Münchener und Hannover Rück haben der Krise ebenso Milliarden hinterher geworfen wie die Deutsche Bank, die BayernLB und viele weitere Institute im europäischen und asiatischen Ausland. Welche Zeitbomben noch in den Bilanzen der Banken dieser Welt schlummern, weiß kein Mensch. Nicht einmal die Banker selbst. Denn das ist das Gespenstische an dieser Krise: Sie wurde ausgelöst durch Finanzprodukte, die die Banken selbst nicht mehr verstehen. Die Amerikaner haben schlecht besicherte Hypothekenbriefe mit völlig anderen Wertpapieren zu so wilden Sträußen gebündelt und über die Börse verkauft, dass die Käufer den realen Gegenwert gar nicht mehr einschätzen konnten. Und es bis heute nicht können. Aber jetzt, wo jeder diese Frankenstein-Papiere nur noch loswerden will, beißen die Letzten die Hunde: Wer auf ihnen sitzen geblieben ist, muss zusätzlich zum Kaufpreis auch für die geplatzten Hypotheken aufkommen, die darin versteckt sind. In dieser chaotischen Kettenreaktion ist nur eine Konstante erkennbar: Bis jetzt hat noch jede Bank und jede Versicherung einen Absturz weit von sich gewiesen. Auch kurz vor der eigenen Pleite noch. Weil das Ende der Finanzkrise nicht absehbar ist, kann man nur raten, wie stark die Weltwirtschaft noch unter ihr leiden wird. Vier Schlussfolgerungen liegen aber jetzt schon auf der Hand. Erstens: Immobilienkrisen sind auch Bankenkrisen. Zweitens: Bankenkrisen sind auch Wirtschaftskrisen. Drittens: Der Staat sollte nicht mehr mit Steuergeldern das Fehlverhalten hochbezahlter Top-Banker ausgleichen. Banken, die ihr Konkurs-Risiko nicht selbst tragen müssen, werden unvorsichtig. Viertens: Offenbar hat die Globalisierung inzwischen einen Komplexitätsgrad erreicht, den ihre eigenen Akteure nicht mehr ausreichend beherrschen.
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