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Börsen-Zeitung: Der Krise nächstes Kapitel, Börsenkommentar "Marktplatz", von Christopher Kalbhenn

Geschrieben am 26-09-2008

Frankfurt (ots) - Nach all den Schrecken hätte es ein wenigstens
halbwegs entspanntes Wochenende werden sollen. Doch kurz bevor sich
die entnervten Marktteilnehmer zurückziehen konnten, wurden die
Hoffnungen, dass sich die Lage mit dem US-Rettungsplan für die
Finanzindustrie zumindest vorübergehend beruhigen würde, brutal
zerschlagen und in der Finanzkrise das nächste Kapitel aufgeschlagen.
Dass sich nach der grundsätzlichen Einigung über den Rettungsplan
durch das politische Tauziehen um die Einzelheiten wieder
Verunsicherung breit machte, war anscheinend noch nicht schlimm
genug. Es musste auch noch mit Washington Mutual die nächste große
Pleite folgen. Aber auch das reichte nicht. Mit Fortis geriet nun
erstmals auch eine kontinentaleuropäische Finanzinstitution von Rang
in Bedrängnis, ein Vorgang, der bis in den Fernen Osten Wellen
schlug, weil der große chinesische Versicherer Ping An eine
erhebliche Beteiligung an dem belgisch-niederländischen Konzern hält.

Leider haben diejenigen Recht behalten, die in dem Rettungsplan
nur eine vorübergehende Atempause für die Finanzbranche und damit
auch für die Aktienmärkte gesehen haben. Tatsächlich wird die Krise
die Marktakteure noch eine Weile in Atem halten, rückt die Aussicht
auf eine Erholung in weitere Ferne. Zumal auch die konjunkturellen
Nachrichten alles andere als ermutigend sind. Die Indikatoren trüben
sich zusehends ein. Dabei zeigen gerade die Zahlen vom US-Häusermarkt
eine beunruhigende Fortsetzung des Abschwungs an. Der Absatz geht
immer noch zurück. Die Preise für wiederverkaufte Eigenheime
erreichten zuletzt einen im Vergleich zum Vorjahr um fast 10%
niedrigeren Verkaufspreis. Interessant wird nun sein, wie sich die
Entwicklung am kommenden Freitag im US-Arbeitsmarktbericht für den
Monat September niederschlagen wird.

Die Finanzkrise jedenfalls wird die Entwicklung in den USA nicht
besser machen. JPMorgan spricht von einem zusätzlichen negativen
Schock für die US-Wirtschaft und hat die Prognosen für das BIP
gekürzt. Für das dritte Quartal erwartet die Bank nun ein
Nullwachstum statt bislang 0,5%. Außerdem rechnet es für das vierte
Quartal 2008 und die ersten drei Monate des nächsten Turnus nun
jeweils mit einer Schrumpfung um 0,5%. Für das laufende und das
nächste Jahr verbleibt laut der neuen Prognose von JPMorgan jeweils
nur noch ein Wachstum von 1,6% und 0,7%.

Nicht nur Washington Mutual und Fortis zeigen, wie schlimm die
Lage ist. Auch die Anstrengungen, um nicht zu sagen:
Verzweiflungstaten, mit denen sich Regierungen, Zentralbanken und
Aufsichtsbehörden gegen das Unheil stemmen, sprechen eine klare
Sprache. Zu allem Unglück kommt noch hinzu, dass die Machtlosigkeit
gegen die Krise deutlich zu Tage tritt. Das gilt zum Beispiel für die
Leerverkäufe. Mit den vorübergehenden Verboten bzw. Einschränkungen
von Leerverkäufen sollte eigentlich der Druck von den Finanzaktien
genommen werden, um eine Verschlimmerung der Krise zu verhindern. Die
Restriktionen können nun als gescheitert betrachtet werden und werden
sich möglicherweise als Schuss nach hinten erweisen.

Auch in Belgien und den Niederlanden wurden Restriktionen
verhängt. Ungedeckte Leerverkäufe in Finanzwerten sind untersagt.
Außerdem müssen Netto-Short-Positionen gemeldet werden, die die
Schwelle von 0,25% des Grundkapitals einer Gesellschaft
überschreiten. Dennoch ist die Aktie der Fortis vom Markt mühelos
nach unten geprügelt worden. Damit haben die Kritiker der
Leerverkaufs-Einschränkungen Recht behalten. Leerverkäufe sind eben
nicht die Verursacher der Krise, und ihr Verbot kann das Unabwendbare
allenfalls verschieben, aber eben nicht verhindern.

Aber noch aus einem ganz anderen Grund sind die Verbote von
Leerverkäufen, die in den Industrienationen verhängt worden sind, ein
Schwächezeichen. Wie ernst muss die Lage der US-Finanzindustrie sein,
wenn die amerikanische Börsenaufsicht SEC die Dauer der
Leerverkaufs-Restriktion auf die maximal zulässigen 30 Tage ausdehnt,
wenn gleichzeitig Russland das Verbot wieder aufhebt und China
Leerverkäufe sogar zum ersten Mal überhaupt einführt?

(Börsen-Zeitung, 27.9.2008)

Originaltext: Börsen-Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/30377
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Börsen-Zeitung
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