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Börsen-Zeitung: Die neuen Staatsbanken Kommentar zur Lage der Banken, von Bernd Wittkowski.

Geschrieben am 13-10-2008

Frankfurt (ots) - Wir schreiben das Jahr 2020. Eine neue
Privatisierungswelle rollt durch Deutschland. Elf Jahre nach dem
fehlgeschlagenen ersten Versuch wird das Kombinat
"Finanzmarktstabilisierungsfonds" entflochten, die Volkseigenen
Betriebe (VEB) wie Deutsche Bank, DZ Bank - Die Initiativbank und
SüdLB werden (re)privatisiert. Auch im Ausland machen die
Wiedereinführung der Marktwirtschaft und der Rückzug des Staates aus
dem Bankwesen Fortschritte. Erste Tranchen des Kapitals von Goldman
Sachs und Royal Bank of Scotland, deren Listing kurz nach der
Verstaatlichung eingestellt worden war, werden an die Börse gebracht.
So weit kurz zusammengefasst Szenario I.

Zu karikierend angesichts der ungemein kritischen bank- und
welthistorischen Phase, in der die Wirtschaft am Abgrund steht? Ende
vorigen Jahres schrieben wir in einem satirischen Ausblick auf 2008,
der chinesische Staatsfonds CIC werde Goldman Sachs übernehmen. Auch
bei der amerikanischen Investmentbank selbst hat man sich damals
köstlich amüsiert. Zehn Monate später, da nicht nur hierzulande,
sondern allen voran in den kapitalistischen Musterländern USA und
Großbritannien der Weg geebnet wird für erste Teilverstaatlichungen
von Banken, bleibt den Betroffenen das Lachen im Halse stecken. Wir
erleben Realsatire, und es ist alles andere als witzig.

Was El Kaida mit den Anschlägen vom 11. September 2001 nicht
gelungen ist, nämlich den Westen und sein Wirtschaftssystem mitten
ins Herz zu treffen und zu destabilisieren, damit zumindest dessen
Verletzlichkeit zu demonstrieren - ein paar wildgewordene Hasardeure
vor allem aus der US-Finanzindustrie haben gute Aussichten, es zu
schaffen: Die Marktwirtschaft westlicher Prägung zeigt
Auflösungstendenzen. Und die Erosion der politischen Landschaft
dürfte alsbald folgen. Denn auch als Wahlhelfer Oskar Lafontaines
leisten die Urheber der Krise ganze Arbeit. Kurios daran: Der
(Selbst)Zerstörungsmechanismus des Systems funktioniert, schon bevor
die Linke im Bund an die Macht gekommen ist.

Jene, die den Kapitalismus seit langem vergebens politisch
bekämpfen, können ihr Glück über die ihnen von der Hochfinanz auf dem
Silbertablett servierte Staatswirtschaft kaum fassen. "Neoliberale
Hardliner" nähmen mit der Teilverstaatlichung des Finanzsektors
Positionen des globalisierungskritischen Netzwerks Attac ein,
frohlockt Juso-Chefin Franziska Drohsel. Mal abgesehen davon, dass es
von Neoliberalismus in der Politik weit und breit keine Spur gibt:
Hat die Vorsitzende des SPD-Nachwuchses denn unrecht?

Sicher: Jetzt ist die Zeit für entschlossenes, pragmatisches
Handeln und nicht für ideologischen Streit, übrigens auch nicht
zwischen den drei Säulen des Kreditgewerbes. Aber man wird ja noch
mal fragen dürfen, was das denn für eine Marktwirtschaft ist, in der
gescheiterte Unternehmen nicht aus dem Wettbewerb ausscheiden müssen
und dürfen, weil sie zu groß respektive systemrelevant sind.

Im Kampf gegen diese Bankenkrise und ihre Weiterungen brechen alle
Dämme. Nicht genug, dass allein in Deutschland in einer Art
Notstandsgesetzgebung vorerst bis zu rund 500 Mrd. Euro und weltweit
etliche Billionen Dollar auf Kosten der Steuerzahler zur Rettung der
Finanzwirtschaft ausgelobt werden; schon die umfassende Garantie für
Bankverbindlichkeiten macht das Kreditwesen ja zu einer weitgehend
staatlichen Veranstaltung. Aber haben wir Krieg, dass - neben Teilen
der Insolvenzordnung oder des Wertpapierhandelsgesetzes -
demokratische, wiewohl in diesem Fall nur aktionärsdemokratische,
Rechte wie jenes der Hauptversammlung, eine Kapitalerhöhung zu
beschließen, mal eben außer Kraft gesetzt werden können? Oder
herrscht Anarchie, dass bei der Bilanzierung mitten in der
Rechnungsperiode hektisch über den Haufen geworfen werden muss, was
gerade noch als der Weisheit letzter Schluss galt: die Bewertung zu
Marktwerten?

Man hat Mühe, zu folgen: den bis vor kurzem unvorstellbaren
Ereignissen und den Akteuren in ihrer ganzen Sprunghaftigkeit. War
nicht noch vor einem Monat die Schaffung neuer nationaler
Bankenchampions nicht nur für die Branche selbst, sondern vor allem
für die Politik und die allermeisten Kommentatoren der angesagteste
Megatrend? Heute denken die entzauberten Apologeten der
Konsolidierung laut über die Entflechtung der
Too-big-to-fail-Giganten nach und lobpreisen die Kleinteiligkeit im
Kreditwesen, als hätte es nie eine Dreisäulendebatte gegeben.

Doch wozu überhaupt noch Banken? Der globale Trend zur Staatsbank
zeigt: Es könnte auch ohne private Geldinstitute gehen. Das ist
Szenario II: Das Einlagengeschäft besorgt die Finanzagentur, die
zurzeit ohnehin mächtig en vogue ist, Kredite reicht der neue
Finanzmarktstabilisierungsfonds gleich direkt aus, statt die Vergabe
nur per Bankengarantie zu stimulieren. Vielleicht bekommt Bill Gates
- "Banking is necessary, banks are not" - noch recht, wenn auch ganz
anders als erwartet. Schon wieder zu karikierend? Diese Krise hat
noch stets gelehrt, dass mit ihrer Realität keine Satire mithalten
kann.

(Börsen-Zeitung, 14.10.2008)

Originaltext: Börsen-Zeitung
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Pressekontakt:
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