Rede von Dr. Reto Francioni, CEO Deutsche Börse AG, zur aktuellen Lage der Finanzmärkte anläßlich eines Parlamentarischen Abends in Berlin, 15. Oktober 2008
Geschrieben am 16-10-2008 |
Frankfurt am Main/Berlin (ots) -
Sehr geehrter Herr Botschafter, sehr geehrte Bundestagsabgeordnete, geehrter Herr Staatssekretär, sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich sehr, Sie alle hier heute Abend begrüßen zu können. Dies umso mehr, als wir alle derzeit in allerhöchstem Maße gefordert sind. Die Turbulenzen an den Finanzmärkten, die vor einem Jahr ihren Ausgang von den US-Hypothekenmärkten nahmen, haben durch die Ereignisse der letzten Wochen einen neuen Höhepunkt erreicht. Nur durch umfangreiche, und ich sage dies sehr bewusst, bislang äußerst umsichtige staatliche Eingriffe konnte bisher Schlimmeres verhindert werden. Der Markt hat einen massiven Vermögensverlust erlebt. Und, was vielleicht noch schlimmer ist, der Markt hat einen massiven Vertrauensverlust erlebt. Wir haben erlebt, dass man zusah, dass vergleichsweise wenige die Freiheiten, die man ihnen gab, missbrauchten, zum Schaden vieler - und ganzer Volkswirtschaften.
Wir alle werden einen Preis für die euphorischen Fehleinschätzungen der Vergangenheit zahlen, und wir tun es bereits. Wir werden uns zurückbesinnen auf eine gesunde Skepsis gegenüber allem, was neu, was mit Euphorie daherkommt - auf eine Haltung, die Altbundeskanzler Helmut Schmidt in der Maxime zusammenfasste: "Keine Begeisterung sollte größer sein als die nüchterne Leidenschaft zur praktischen Vernunft."
Immerhin: Das Universalbankensystem deutscher Prägung hat sich als relativ robust erwiesen. Politisch sind in den letzten Jahren Reformen auf den Weg gebracht worden - auch und nicht zuletzt im Finanzsektor -, die der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland förderlich waren. Zugleich, und das haben wir immer begrüßt, wurde darauf geachtet, dass nicht alles, was aus den USA kam, bedenkenlos übernommen wurde. Es ist somit zu hoffen, dass sich das enorme Potenzial der deutschen Wirtschaft gegen den Verlust an Vertrauen in die Märkte zu behaupten weiß. Dieses Potenzial hat Altbundeskanzler Helmut Kohl in dem Satz auf den Punkt gebracht: "Der Reichtum unseres Landes sind der Fleiß, der Ideenreichtum und die Kreativität seiner Bürger."
Vertrauen ist ja diese Woche schon wieder aufgekommen, wenn wir die Aktienmärkte als Indikator dafür nehmen - obwohl es heute bereits wieder zu Rückschlägen gekommen ist. Die Wiedergewinnung von Vertrauen haben wir auch der Politik zu verdanken, deren Arbeit Respekt verdient. Bei aller Schelte, die Sie jeden Tag aushalten müssen, geht diese Leistung zu schnell unter. Ich möchte Ihnen ausdrücklich meinen Respekt dafür zollen, wie Sie die Krise managen. Dieser Respekt und dieser Dank gilt insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hat durch ihr außerordentliches Engagement die Basis dafür gelegt, dass derzeit an den Märkten ebenso wie in der Öffentlichkeit verlorenes Vertrauen zurückgewonnen wird. Respekt und Dank gilt aber auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, der den Entwurf für das Finanzmarktstabilisierungsgesetz auf den Weg gebracht hat. Ein sehr gelungenes Beispiel parteienübergreifender politischer Zusammenarbeit!
Es ist uns bei der Gruppe Deutsche Börse als neutraler Marktplatzbetreiber ein tiefes Anliegen, der deutschen Finanzindustrie, der deutschen Politik und der deutschen Volkswirtschaft dabei zu helfen, Vertrauen in die Märkte zu sichern und zu schaffen. Und ich denke, wir können dazu einen Beitrag leisten, und wir haben dazu einen Beitrag geleistet. Börsen - und nur regulierte Börsen und eben nicht von den Investmentbanken im Eigeninteresse forcierte Handelsplattformen - bieten den Investoren fairen Marktzugang, gleiche Informationen für alle, liquiden Handel, transparente Preisbildung und höchst effektive Instrumente des Risikomanagements. Sie bieten vor allem dem System Sicherheit. Börsen sind somit ein zentraler Steuerungsmechanismus der marktwirtschaftlichen Ordnung und Stabilität.
Eine Kernfunktion des Börsenhandels ist die Aufteilung von Marktrisiken und - am Terminmarkt - die Absicherung gegen unerwartete Preisentwicklungen des Basiswerts. 92 Prozent der 500 größten Unternehmen der Welt nutzen Derivate, um ihre Preisrisiken zu managen. Das Management von Marktrisiken ist eines der wichtigsten Motive dafür, dass es Aktien und Derivate überhaupt gibt.
Zu diesem Management von Marktrisiken tragen prinzipiell auch Leerverkäufe bei. Sie erhöhen zudem die Liquidität und steigern damit zugleich die Markteffizienz. Grundsätzlich (und das sage ich als ehemaliger Jurist) profitieren alle Marktteilnehmer - börsennotierte Unternehmen ebenso wie Händler und Investoren - von einem liquiden Börsenhandel in Wertpapieren. Anders ist die Lage allerdings in Krisensituationen. In Ausnahmezeiten wie den heutigen sind Einschränkungen, wie sie die BaFin im Einklang mit anderen internationalen Aufsichtsbehörden verhängt hat, auch aus Marktsicht durchaus zu vertreten. Sie dienen der Vertrauensbildung und tragen dazu bei, dass in der jetzigen angespannten Situation kein Finanzinstitut in zusätzliche Schwierigkeiten gerät. Wichtig ist aber, dass sie zeitlich eng begrenzt sind und auf sachlich genau abgegrenzte Sachverhalte angewandt werden. Wichtig ist auch, dass derartige Regelungen international abgestimmt sind, damit kein Nachteil für den Finanzplatz entsteht. Dies war bei den Maßnahmen der BaFin der Fall, und dies begrüßen wir ausdrücklich. Damit rede ich nicht dem Neoliberalismus das Wort, sondern angemessener und notwendiger Regulierung, von der ich schon immer überzeugt war.
Der regulierte und geordnete Preisbildungsprozess an der Börse hat auch in den Marktturbulenzen der letzen Wochen funktioniert. Der Börsenhandel ist trotz der hohen Unsicherheit liquide geblieben. Sicherlich war die Wahrnehmung am Markt teilweise durch übergroßen Pessimismus getrübt. Vielleicht entwickelten sich Preis und Wert dadurch auch phasenweise auseinander. Doch mit der Verkündung des Maßnahmenpakets zur Stabilisierung der Finanzmärkte, das die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, hat der Markt seit Beginn dieser Woche wieder Vertrauen zurückgewonnen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang: Vertrauen muss geschaffen und kann nicht gekauft werden. Daher ist die zentrale Frage, zu welchem Zweck die Mittel des neu geschaffenen Stabilisierungsfonds eingesetzt werden. Hier erscheinen mir Bürgschaften oder der Erwerb von Anteilen sinnvoller als etwa das Aufkaufen problematischer Vermögenswerte.
Auch das integrierte Geschäftsmodell der Börse, das die gesamte Wertschöpfungskette vom Handel bis hin zu Abwicklung und zur Systemtechnik unter einem Dach vereint, hat sich in der Krise bewährt. Durch sichere Handels- und Abwicklungssysteme konnten wir die operationalen Risiken minimieren. Trotz des ungeheuren Anstiegs der Handelsvolumina in der ersten Phase der Finanzkrise sind Handel und Abwicklung an der Börse in der gewohnten Effizienz stabil geblieben. Einen Höhepunkt erreichte diese Belastung in der vorigen Woche, insbesondere am Freitag, als unser Xetra-System weit über eine Million Handelsabschlüsse verbuchte. Automatisierte Prozesse auf hochleistungsfähigen Systemen haben verhindert, dass sich Rückstaus bei der Orderverarbeitung ergaben. Wichtig für Fachleute: Bei allen Bewegungen nach unten waren immer genügend Kaufaufträge da.
Darüber hinaus managen integrierte Börsen das Risiko des Ausfalls eines Vertragspartners, und zwar durch die ihnen angeschlossenen zentralen Kontrahenten oder Clearinghäuser. Indem der zentrale Kontrahent im Handel als Intermediär auftritt, und zwar als Käufer für jeden Verkäufer und als Verkäufer für jeden Käufer, garantiert er die Zahlung und Auslieferung des Instruments. Dass sich die Systeme integrierter Börsen im Handel, Clearing und Settlement in der Krise weltweit bewährt haben, haben auch die Aufsichtsbehörden gewürdigt. So gab Walt Lukken, Acting Chairman der US-Terminmarkt-Aufsicht CFTC, kürzlich zu Protokoll: "Die Clearingsysteme haben zuletzt außerordentlich gut funktioniert."
Dies gilt auch für das Krisenmanagement. Hierzu ein Beispiel aus der jüngsten Phase der Marktturbulenzen: Mit der Insolvenz von Lehman Brothers Mitte September verlor die amerkanische Investmentbank auch ihre Lizenz beim Clearinghaus der Gruppe Deutsche Börse, Eurex Clearing. Wir standen damit vor der Aufgabe, die Positionen von Lehman-Brothers-Kunden zu übertragen und die Eigenhandelpositionen der Bank abzuwickeln. Bis Ende September konnten wir diesen Prozess in einem geordneten Verfahren abschließen. Das Risiko war dabei jederzeit durch Sicherheiten gedeckt, die Lehman Brothers bei der Eurex Clearing hinterlegt hatte.
Die potenzielle Bedeutung von Börsen für den weltweiten Derivatehandel wurde vor kurzem in einem Weißbuch unterstrichen. Ein Ergebnis dieser Studie lautet: Der Markt für Derivate ist im wesentlichen ein außerbörslicher und damit ein unregulierter Markt. Nur rund 16 Prozent des nominellen ausstehenden Volumens weltweit werden - bisher - an Börsen gehandelt, der Rest läuft außerbörslich. Der börsliche Handel ist in den letzten Jahren jedoch schneller gewachsen als der außerbörsliche. Die Vorteile des Börsenhandels liegen zum einen in seinem überlegenen Risikomanagement, insbesondere beim Einsatz eines zentralen Kontrahenten. Zum anderen sind die Transaktionskosten wesentlich günstiger. Schätzungen zufolge liegen sie bei einem Achtel der Kosten für den außerbörslichen Handel. Eine konsequentere Verwendung zentraler Kontrahenten und eine Zunahme des börslichen Handels würden somit die Effizienz und die Sicherheit des Derivatemarkts wesentlich erhöhen.
Dies wäre auch relevant für die Prävention zukünftiger Krisen: Durch eine Stärkung des börslichen Handels würde ein Frühwarnsystem geschaffen, da die gehandelten Instrumente jederzeit vom Markt bewertet werden und die Bewertungen allen Marktteilnehmern zugänglich sind. Vor allem aber würde durch den verstärkten Einsatz zentraler Kontrahenten, auch im außerbörslichen Handel, ein Mechanismus geschaffen, der das Risiko des Ausfalls eines Marktteilnehmers absichert und somit eine negative Kettenreaktion verhindert. Dies würde den Bedarf an staatlichen Rettungsmaßnahmen und Eingriffen der Notenbanken von vornherein reduzieren.
Vor diesem Hintergrund plant Eurex Clearing, das Risikomanagement für Derivate zu verbessern, die bisher außerbörslich gehandelt werden. Wir prüfen derzeit verschiedene Formate für einen Zentralen-Kontrahenten-Service, der genau dies leisten würde. Der neue Service für europäische außerbörsliche Transaktionen könnte auf bestehende Eurex-Funktionalitäten aufbauen. Eurex Clearing ist in Gesprächen mit verschiedenen Infrastrukturanbietern, um deren Beteiligung an der neuen Clearing-Plattform zu diskutieren. Am Anfang sollte dabei eine Lösung für Kreditderivate stehen.
Die Deutsche Bundesbank hat sich bereits für eine europäische Clearing-Lösung für außerbörslich gehandelte Kreditderivate ausgesprochen. Am vergangenen Freitag hat Eurex Clearing diese Lösung auf Einladung der Federal Reserve Bank auch in den USA präsentiert. Eurex Clearing ist als größtes europäisches Clearinghaus ideal positioniert, um einen solchen Service anzubieten. Eurex Clearing verwaltet derzeit etwa 45 Milliarden Euro hinterlegter Sicherheiten und hat mehr als 120 Clearingteilnehmer in Europa. Das Clearinghaus könnte somit bei dem neuen Angebot Synergien nutzen. Zudem ist Eurex Clearing im Risikomanagement und in Bezug auf die Risikofunktionalitäten weltweit führend. So bietet nur Eurex Clearing ein Risikomanagement in Echtzeit an.
Die entscheidende Bedeutung solcher Plattformen für die Stabilität des Finanzsystems ist uns allen durch die Finanzkrise erneut vor Augen geführt worden. Wenn wir nicht wollen, dass die Lösungen dafür allein von den USA aus entwickelt und gesteuert werden, müssen wir auch in Europa aktiv werden. Ich denke, es wäre deshalb im Interesse des Standorts, wenn unsere Bemühungen in diesem Projekt auch politisch flankiert würden.
Ein weiterer Markt hat sich in den Turbulenzen der letzten Monate sehr bewährt: GC Pooling, betrieben von der Deutsche-Börse-Tochter Eurex Repo. Es hat die Liquiditätslage der teilnehmenden Banken stabilisiert. Während in diesen Tagen die unbesicherten Finanzierungsmöglichkeiten nach wie vor stark eingeschränkt sind und unter einem Mangel an Liquidität leiden, organisiert Eurex Repo einen liquiden und prosperierenden Markt für die besicherte Finanzierung durch Repogeschäfte. Dies zeigt sich an der Verdreifachung des ausstehenden gehandelten Volumens in GC Pooling auf rund 35 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2008 gegenüber dem gleichen Vorjahrszeitraum.
Börsen produzieren damit eine Ressource, die für das Funktionieren effizienter Märkte essenziell ist: Vertrauen. Und Vertrauen an den Märkten wiederzugewinnen ist die zentrale Aufgabe vor der wir heute gemeinsam stehen: Politik, Regulatoren und Zentralbanken, Geschäftsbanken und Börsen. Es ist ein großes Verdienst der Zentralbanken in der Krisenbewältigung, dass sie der Vertrauenskrise durch den zügigen und beherzten Zuschuss von Liquidität entgegensteuerten. Es ist ein großes Verdienst der Regierungen, dass sie durch gezielte und angemessene Maßnahmen eine weitere Verschärfung der Krise verhindert haben. Doch auch die Börse hat ihren Beitrag geleistet: durch die Bereitstellung stabiler Systeme für den Handel, das Risikomanagement und die Versorgung der Marktteilnehmer mit Liquidität. Die Börse ist damit ein wichtiger Erfolgsfaktor für den Finanzstandort Deutschland.
Dieser Verantwortung kann eine Börsenorganisation dann am besten nachkommen, wenn sie auch international gut positioniert ist. Die Gruppe Deutsche Börse zählt weiterhin zu den größten und erfolgreichsten Börsenorganisationen. Wir sind nach der Chicago Mercantile Exchange die größte Börsenorganisation weltweit, gemessen an der Marktkapitalisierung des Börsenbetreibers. Wenn wir in diesem Wettbewerb weiterhin erfolgreich sein wollen, gilt es, unser erfolgreiches integriertes Geschäftsmodell Schritt für Schritt zu internationalisieren. Unser Ziel ist es, an allen Zeitzonen der Welt Präsenz zu zeigen. Dies gilt ganz besonders für die Wachstumsmärkte in Osteuropa, Nahost und Asien. An dieser Stelle ist ein Dank an die Bundesregierung auszusprechen, die sich stark und mit Erfolg für unsere Aktivitäten u.a. in Asien einsetzt. So haben nun die chinesischen Behörden die Eröffnung einer Repräsentanz der Deutschen Börse in Peking Ende September genehmigt.
Meine Damen und Herren, auch in turbulenten Zeiten wie diesen gilt: Ein starker Finanzplatz ist ein zentraler Eckpfeiler des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Der Finanzmarkt darf nicht pauschal für die Fehlentwicklungen in einzelnen Subsektoren verantwortlich gemacht werden. Noch wichtiger als der direkte Beitrag zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung sind dabei die indirekten Wirkungen des Finanzsektors auf die produzierende Industrie. Ein effizienter Kapitalmarkt senkt die Kapitalkosten der Unternehmen. Ein effizienter Kapitalmarkt schafft Zugang zu Eigenkapital. Und nur Unternehmen mit einer gesunden Eigenkapitalbasis werden die Chancen, die die Globalisierung bietet, für sich nutzen können.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Originaltext: Deutsche Börse AG Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/31512 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_31512.rss2 ISIN: DE0005810055
Pressekontakt: Dr. Frank Herkenhoff Head of Media Relations Deutsche Börse AG Neue Börsenstraße 1 60485 Frankfurt/Main
Phone +49 (0)69 2 11-1 34 80 Mobile +49 (0)172 619 9759 Fax +49 (069) 2 11-61 3480 E-Mail Frank.Herkenhoff@deutsche-boerse.com http://www.deutsche-boerse.com
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