Basler Zeitung: WM-Presseschau - "Die Schweiz ist bereit für den Grossen" (Ausgabe vom 13.6.06)
Geschrieben am 12-06-2006 |
Basel (ots) - Mit dem Einzug in die Achtelfinals als Ziel steigen die Schweizer heute ins WM-Turnier
MARCEL ROHR, Bad Bertrich
Die Euphorie ist gigantisch, doch Coach Köbi Kuhn bleibt gelassen vor dem ersten WM-Spiel gegen Frankreich (18.00 Uhr, SF 2 live).
Das Plakat hängt unweit des Gottlieb-Daimler-Stadions, dort, wo heute ab 18 Uhr die ersten WM-Träume wahr werden. Die Botschaft ist unverkennbar. «Stress? Wir empfehlen Ball-drian!», steht geschrieben. Das Wortspiel dokumentiert die unbändige Vorfreude auf die WM, die Lust auf Fussball, die gerade in Stuttgart vor dem Turnierauftakt herrscht. Ball-drian braucht, wer nervös oder unruhig ist. Köbi Kuhn (62) machte gestern nicht diesen Eindruck. Wenige Minuten, nachdem die Schweizer Delegation in Stuttgart gelandet war, beantwortete er kurz vor 13.30 Uhr zum x-ten Mal die gleichen Fragen, die stets in die gleiche Richtung zielten: Wie gross werden die kleinen Schweizer an dieser WM sein? Sind sie genug gross, um das grosse Frankreich schlagen zu können? «Wir sind ein kleine Nation», antwortete Kuhn auch gestern wieder. Er tat dies mit der Gelassenheit eines 62-Jährigen, der weiss, dass er im Vorfeld alles gemacht hat, um sein Team bestmöglich vorzubereiten. Das Schweizer Ziel vor dem Auftakt gegen Frankreich ist klar definiert: Gruppenphase überstehen und in die Achtelfinals einziehen. Das ist realistisch. «Was darüber geht», sagt Kuhn, «ist Zugabe.» Was für die Schweizer spricht ist die Tatsache, dass man gleich im ersten Match auf den Dino der Gruppe trifft die Elf von Raymond Domenech (52) hatte zuletzt Probleme und Problemchen, und da ist man in einem Startspiel schnell auch mal mit einem Remis zufrieden.
Hohe Erwartungen. Auffallend ist, dass die Erwartungen an die Schweizer gerade im Gastgeberland hoch sind. ZDF-Reporter Rolf Töpperwien zog gestern den Vergleich mit Griechenland, das 2004 an der EM sensationell triumphierte. Die typische Antwort darauf von Kuhn: «Wir wollen bescheiden bleiben.» Kein Zweifel, der Nationaltrainer hat im Vergleich mit 2004 dazu gelernt. Er beherrscht den Umgang mit den Medien immer besser. Und auf seine Spieler kann er sich verlassen. In den letzten 19 Spielen seit dem EM-Out 2004 (1:3 gegen Frankreich) setzte es nur eine Niederlage ab, im WM-Barrage-Rückspiel in Istanbul (2:4). «Doch gerade in den Spielen gegen die Türkei», denkt Tranquillo Barnetta, der pfeilschnelle Mittelfeldspieler, «haben wir einen Schritt nach vorne gemacht.» Doch wenn eine kleine Fussball-Nation wie die Schweiz an einer Endrunde etwas reissen will, muss alles, wirklich alles, passen. Dazu gehört auch die Verbandsspitze. Ob die SFV-Funktionäre in WM-Form sind? Noch immer, so scheint es, drohen die Herren Zloczower, Gilliéron, Stadelmann und Lämmli den Überblick zu verlieren, wenn griffiges Krisenmanagement gefragt ist. Man erinnere sich: In Portugal war ebenfalls alles bestens bis Alex Frei im zweiten Gruppenspiel gegen England die Nerven verlor und Steven Gerrard bespuckte. Dann brach in der Führungsetage das Chaos aus.
«Normales Spiel.» Es bleibt zu hoffen, dass auch die Funktionäre ihre Lektion von 2004 gelernt haben und besser kommunizieren, wenn es zu kommunzieren gilt. Dann kann man sich freuen auf mindestens drei Fussballfeste mit dem Ball als Mittelpunkt. Es ist in diesen Tagen, bei derart viel WM-Euphorie, nicht immer einfach, den Blick für das Wesentliche zu behalten. Treffend die Worte von Ricardo Cabanas: «Bei allem Rummel, wir dürfen uns nicht zu sehr mitreissen lassen. Es ist immer noch ein normales Spiel mit elf gegen elf.» Auch dieser Mann braucht kein Ball-drian.
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