Börsen-Zeitung: Der Wechsel, Kommentar von Bernd Neubacher zur Wahl Barack Obamas zum künftigen US-Präsidenten
Geschrieben am 05-11-2008 |
Frankfurt (ots) - Schon wieder wird Geschichte geschrieben: Gerade erst eskalierte am Finanzmarkt die schwerste Krise, die die meisten Marktteilnehmer bisher erlebt haben, da kommt es in der Politik zu einer historischen Zäsur. Erstmals wird ein Afroamerikaner Präsident der Vereinigten Staaten. Möglicherweise haben sich in den USA alle ethnischen Vorurteile aufgelöst. Vermutlich aber war angesichts zweier Kriege, einer Finanzkrise und einer sich anbahnenden Rezession auch nur der Leidensdruck der Wähler zu groß. 14 Jahre lang haben die Republikaner den Kongress kontrolliert, den Präsidenten gestellt oder beides zugleich. Nun wollten die US-Bürger den Wechsel. Obamas Status als Außenseiter wirkte da wie ein Versprechen. Mit der Verheißung von Wandel allein lässt sich zwar kein Staat machen, wohl aber Wahlen gewinnen, wie Barack Obamas Erfolg zeigt.
Eine satte Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus ermöglicht ihm nun, seine Vorstellungen zügiger durchzusetzen als sein Vorgänger, auch wenn die Demokraten die Marke von 60 der 100 Sitze im Senat verfehlen, die es erlaubt, den Widerstand der Minderheit gegen Gesetzentwürfe und Richterernennungen zu minimieren.
Schon vor dem Urnengang waren Analysten mit Listen von Branchen bei der Hand, die ein Wahlerfolg Obamas zu Gewinnern bzw. Verlierern machen werde - ins Töpfchen gehören demnach unter anderem die Titel börsennotierter Betreiber von Krankenhäusern und Altenheimen sowie Anbieter alternativer Energien. Im Kröpfchen landen dagegen Pharmawerte, Hersteller gehobener Konsumgüter, Energiedienstleister sowie Unternehmen, denen eine gewerkschaftsfreundlichere Gesetzgebung Ungemach bringen könnte. Anleger sollten auf solche Studien nichts geben - kann Obama den freien Fall der Wirtschaft nicht stoppen, werden Investoren ganz andere Probleme haben als die Branchenselektion.
Zwar sind die Sätze im Interbankenhandel zuletzt zurückgekommen, und auch der Markt für kurzfristige, unbesicherte Schuldverschreibungen hat nicht zuletzt dank Garantien durch die Notenbank in den vergangenen Tagen Lebenszeichen von sich gegeben. Der Realwirtschaft aber steht die Talsohle in jedem Fall noch bevor. Die Banken in den USA fahren ihre Kreditvergabe weiter zurück. Auch im laufenden Quartal sollte das Bruttoinlandsprodukt (BIP), stärker noch als im vergangenen Dreimonatszeitraum, schrumpfen. Im verarbeitenden Gewerbe liegen die Aktivitäten auf dem tiefsten Niveau seit 26 Jahren. Neue Hiobsbotschaften dürften schon am Freitag mit dem Arbeitsmarktbericht für Oktober ins Haus stehen. Ökonomen erwarten, dass außerhalb der Landwirtschaft 200000 Stellen verloren gegangen sind.
Für den neuen Präsidenten ist nach der Wahl damit vor der Wahl: Er muss schleunigst die Mitglieder eines "Schattenkabinetts" benennen, das die Kooperation mit dem ausscheidenden Kabinett sucht. Dabei kommt es vor allem auf die Nominierung des künftigen Finanzministers an. Er muss in den verbleibenden zehn Wochen bis Amtsantritt eine Politik für das 700 Mrd. Dollar schwere Rettungspaket entwickeln und entscheiden, wie es für die unter Zwangsverwaltung gestellten Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac sowie mit den öffentlichen Bankenbeteiligungen weitergehen soll. An maladen Instituten hat sich ein Staat schnell beteiligt, der Rückzug, sofern er gewünscht ist, gestaltet sich da schon komplizierter.
Obama wird versuchen, dies vorerst vergessen zu machen und den im Wahlkampf zur Schau gestellten Optimismus auf die US-Bürger zu übertragen. Ein sonniges Gemüt schlägt sich zwar nicht messbar im BIP nieder. Greift allgemein Zuversicht um sich, beeinflusst dies aber sehr wohl Konsum und Investitionen. Schon der Schauspieler Ronald Reagan sowie Strahlemann Bill Clinton wussten dies zu Amtsantritt zu nutzen, und Hoffnungen hat Obama ja zumindest den Wählern bereits eingeflößt, die er seiner Partei neu erschlossen hat. Bei den Anstrengungen zur Belebung der Konjunktur braucht die kommende Regierung nicht zuletzt Glück, anders als das scheidende Kabinett, dessen insgesamt 170 Mrd. Dollar schweres Konjunkturpaket vom Frühjahr infolge rekordhoher Benzinpreise verpuffte.
Zweierlei steht wohl jetzt schon fest. Erstens: Das Haushaltsdefizit wird weiter steigen, entweder infolge neuer Konjunkturprogramme, wenn die Krise andauert - oder weil das Finanzministerium dem Erfolg seiner Bemühungen um eine Erholung zum Opfer fällt. Denn führen seine Anstrengungen zum Ziel und die Lage verliert an Brisanz, dürften Anleger Geld aus dem vermeintlich sicheren Hafen der Staatsanleihen abziehen und damit dem Schatzamt die Refinanzierung verteuern. Für Treasuries verheißt beides nichts Gutes.
Zweitens: In einer Rezession wird sich Obama kaum trauen, wie im Wahlkampf angekündigt Steuern zu erhöhen und die Abgaben auf Kapitalerträge heraufzusetzen. Die Konjunktur hat jetzt Vorrang vor der politischen Agenda. Das weiß auch ein Präsident, der Geschichte schreibt.
(Börsen-Zeitung, 6.11.2008)
Originaltext: Börsen-Zeitung Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/30377 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_30377.rss2
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