WAZ: Konjunkturprogramme in Europa - Merkel dreht nur widerwillig bei - Leitartikel von Stefan Schulte
Geschrieben am 24-11-2008 |
Essen (ots) - Auch die Kanzlerin erwartet eine außergewöhnlich kräftige Rezession. Doch während andere europäische Wirtschaftsmächte mit außergewöhnlich kräftigen Konjunkturprogrammen und Steuersenkungen reagieren, belässt es Deutschland bei einem vergleichsweise bescheidenen Paket. Nun wird Merkel getrieben, mehr zu tun. Von ihren europäischen Partnern, aber auch von ihrer angeschlagenen Schwesterpartei und dem eigenen Wirtschaftsflügel. Urplötzlich gerät Merkel in die Defensive. Und sie kann nur verlieren: Ihr Ruf als starke Krisenmanagerin steht auf dem Spiel.
Es gibt keinen Grund, Merkel dafür zu bedauern. Sie hat Frankreichs Präsident Sarkozy mit seinem Vorstoß für eine europäische Wirtschaftsregierung abblitzen lassen. Dafür gab es auch gute Gründe, doch wer auf nationale Krisenbewältigung setzt, darf sich nicht grämen, wenn er in ein kontinentales Wettrennen um das größte und beste Konjunkturprogramm gerät. Nun muss sich die Bundesregierung an den Briten und Franzosen messen lassen.
Noch schwieriger als auf europäischer Ebene wird es für Merkel, im eigenen Lager die Orientierung zu behalten. Sie ist von Parteikollegen und Beratern umzingelt, die kein Problem damit haben, ihre Meinung einmal komplett auf links zu drehen. Nicht der Sozialflügel sitzt ihr im Nacken, sondern eine Riege von marktliberalen Wirtschaftspolitikern, die noch vor wenigen Wochen Konjunkturprogramme für ein Relikt des Sozialismus gehalten haben. Die Wirtschaftsweisen haben ihr Credo "Markt vor Staat" bis auf Weiteres ins Gegenteil verkehrt. Und liberale Kommentatoren halten ihr auf einmal Blüm vor und ätzen, sie habe sich ihr Leipziger Programm von "McKinsey-Smarties" diktieren lassen. Wer 2005 nach dem schwachen Wahlergebnis noch nicht nachgetreten hat, tut es jetzt.
Merkel schwenkt ja um: Aus den "freien" sind im CDU-Leitantrag die "geordneten Märkte" geworden. Doch ihr Zögern verrät, dass sie für Wählerstimmen, aber gegen ihre Überzeugung beidreht. Im Moment sind jedoch schnelle Entscheidungen vonnöten, um der Krise zu begegnen. Hilfreich ist, was sofort bei den Leuten ankommt. Die Briten machen es vor, Deutschland sollte es nachmachen: Die Mehrwertsteuer muss runter. Dann können die Menschen von ihrem Geld mehr kaufen. Und was der Staat ohnehin mittelfristig in Straßen, Schienen und Gebäude investieren müsste, sollte er vorziehen. Nur ein Staat, der in der Krise Stärke zeigt, hat in besseren Zeiten die Kraft, sich zurückzuziehen. Und das muss er, um seine Schulden zurückzuzahlen.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55903 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55903.rss2
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