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Landeszeitung Lüneburg: ,,Klimawende ist das Gebot der Stunde" -- Interview mit dem B.A.U.M.-Mitbegründer und Umweltberater Prof. Dr. Maximilian Gege

Geschrieben am 11-12-2008

Lüneburg (ots) - Während auf dem EU-Gipfel eine Verwässerung der
Klimaschutzziele droht und die UN-Klimakonferenz wegen des Fehlens
einer handlungsfähigen US-Delegation auf der Stelle tritt, wirbt der
Umweltberater Prof. Dr. Maximilian Gege, B.A.U.M.-Mitbegründer, für
sein Konzept eines ökologischen Wirtschaftswunders.
Bundestagsabgeordneten, Bürgermeistern und Industriekapitänen stellt
er seine Vision vor: Ein Zukunftsfonds, der fünf Prozent Zinsen auf
Einlagen garantiert und Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen
finanziert. Die Hälfte der eingesparten Energiekosten fließt zurück
in den Fonds. Prof. Gege: "Die Zeit ist reif für eine umfassende
Strategie."

Sind wir schon unterwegs zu einem ökologischen Wirtschaftswunder
oder müssen wir uns erst auf den Weg machen?
Prof. Maximilian Gege: Wir sind noch nicht richtig gestartet, also
müssen wir uns auf den Weg machen. Bedenkt man, dass in der
Finanzkrise 16000 Milliarden Euro versenkt wurden, wird klar, welches
Kapital uns zur Verfügung gestanden hat. Ein Bruchteil davon hätte
für ein ökologisches Wirtschaftswunder gereicht, nach meinen
Berechnungen 200 bis 300 Milliarden Euro.

Viele Politiker wollen wegen der Wirtschaftskrise die Ökoauflagen
für Autokonzerne kippen, beim EU-Gipfel droht die Aufweichung der
Klimaziele. Sind die Bekenntnisse zum Jobpotenzial der Ökologie nur
Sonntagsreden?
Prof. Gege: Das ist eine Frage der mangelnden Einsicht in komplexe
Zusammenhänge bei den entsprechenden Politikern. Die Klimaproblematik
wird uns vor Herausforderungen stellen, die wir uns heute noch gar
nicht vorstellen können. Insofern ist eine umfassende
Klima-Vorsorge-Strategie das absolute Gebot der Stunde. Es gibt
Branchen, die gewinnen enorm durch Nachhaltigkeitsstrategien. Dazu
kann auch die Automobilbranche gehören: Kleinere Autos und geringerer
Spritverbrauch schmälern zwar die Wertschöpfungskette, bringen aber
große neue Absatzpotenziale weltweit und massive CO2-Einsparungen.
Unser Ansatz geht auch dahin, im Bereich Bauen durch Dämmung und
alternative Energien mehr Jobs zu schaffen als wir in anderen
Bereichen -- etwa bei den Autokonzernen -- verlieren werden. Wir
haben 14 Millionen alte Häuser in Deutschland, von denen 12 Millionen
sanierungsbedürftig sind. Würden die Hausbesitzer die Aufträge für
neue Fenster, effiziente Dämmungen und Heiztechnik an Handwerker
vergeben und die Hälfte der Energieersparnis in einen Fonds
zurückzahlen, der diese Maßnahmen finanziert, wird das
Wirtschaftswunder gestartet und zudem das Klima geschont. Statt
Flickwerk braucht Deutschland einen umfassenden Energieeffizienzplan,
der alle Faktoren umfasst.

Weltweit betteln Autoriesen um staatliche Hilfe, weil sie ihre
Spritschlucker nicht mehr los werden. Fehlt es den Unternehmen nicht
nur an Bewusstsein für eine effizientere Produktion, wie Sie
diagnostizierten, sondern auch am Willen, ,,grüne Produkte"
herzustellen?
Prof. Gege: An diesem Punkt muss man auch die Verbraucher in den
Blick nehmen. Wäre die Nachfrage nach starken PS-Autos geringer und
die nach Hybridfahrzeugen und spritsparenden bzw. Elektro-Autos
höher, hätten die Automobilgiganten längst umgeschwenkt. Letztlich
müssen wir alle bescheidener werden. Wir brauchen neue Lebens- und
Konsumstile, wenn der Planet überleben soll.

Kann diese neue Bescheidenheit noch durch Überzeugung erlangt
werden oder verlangt der Klimakollaps nach Zwangsmaßnahmen?
Prof. Gege: Wir haben noch etwa 30 Jahre Zeit für die Anpassung. Und
da Anzeichen für einen Bewusstseinswandel überall festzustellen sind,
bin ich noch optimistisch. Im Bereich erneuerbare Energien entstanden
in Deutschland 250000 Jobs. Sollte der Staat Konjunkturprogramme
lieber in diesem zukunftsträchtigen Bereich inves"tieren? Prof. Gege:
Selbstverständlich. Würde der Staat Milliarden Euro in die Hand
nehmen, um alternative Energien und Effizienzsteigerungsprogramme zu
fördern, statt Kohle, Atom usw. zu finanzieren, wäre das wirklich
zukunftsträchtige Politik. Hier schlummert Potenzial in einem Volumen
von mehreren 100 Milliarden Euro. Investiere ich hier, schaffe ich
sichere Arbeitsplätze und mindere die Abhängigkeit von Öl und Gas.

Kritiker monieren, dass erneuerbare Energien ohne staatliche
Beihilfen nicht marktfähig werden. Haben sie Recht?
Prof. Gege: Ja, ohne Subventionen hätte man Solarenergie oder
Windkraft nicht auf den Markt gebracht. Aber hier zählt die
langfristige Perspektive: Die Anschubfinanzierung bekommt der Staat
letztlich zurück über höhere Steuereinnahmen, die ihm erfolgreiche
Unternehmer und in Lohn und Brot befindliche Arbeitnehmer
verschaffen. Zudem sind die erneuerbaren Energien irgendwann so
effizient, dass sie keiner Förderung mehr bedürfen. Anders als etwa
die Atomindus"trie, die nach wie vor am staatlichen Tropf hängt.
Werden aber alle Energieeffizienz- und Einsparpotenziale genutzt,
brauche ich keine Atomenergie mehr und erspare mir das
Entsorgungsproblem.

In Ihrem Konzept soll eine "Zukunftsanleihe", eine Art Öko-Soli
der Bürger, eine Klima-Offensive tragen. Ist der Klimawandel nicht zu
dramatisch, um noch auf Freiwilligkeit zu setzen?
Prof. Gege: Mag sein, aber als Marktwirtschaftler versuche ich
lieber, gemeinsam mit allen etwas zu bewegen. Die Zukunftsanleihe
appelliert aber nicht in erster Linie an den Gemeinsinn -- ist also
kein "Soli" -- sondern an das Gewinnstreben. Die Bürger legen ihr
Geld im Zukunftsfonds an wie auf dem Sparbuch, nur dass sie hier fünf
Prozent Zinsen garantiert kriegen. Der Fonds gibt jedem Geld, der
energieeffiziente Maßnahmen durchführen will. Von den Einsparungen
zahlt der Bürger beziehungsweise die Unternehmen die Hälfte in den
Fonds zurück. Ein wunderbar einfaches System, das Arbeitsplätze in
Handwerk und produzierendem Gewerbe schafft. Zudem hat der Anleger
das gute Gefühl, dass sein Geld zur Energie- und CO2-Einsparung
beiträgt.

Richtet sich der Zukunftsfonds nur an den Bürger oder auch an
Unternehmen?
Prof. Gege: Er steht allen offen -- in erster Linie zwar den Bürgern,
aber auch der Indus"trie und Stiftungen. Je mehr Kapital
zusammenkommt, desto massiver kann man dem Klimawandel begegnen.

Sinkende Spritpreise gaukeln die Unendlichkeit fossiler Ressourcen
vor. Schläft in der Krise die Bereitschaft zur Energiewende ein?
Prof. Gege: Hoffen wir es nicht. Denn in der Tat wird der Überfluss
nur vorgegaukelt. In 40, spätestens 50 Jahren wird die Nachfrage nach
Öl viel größer als das Angebot. Statt sechs Milliarden Menschen
werden dann neun Milliarden Ressourcenhunger haben. Neue große
Ölfelder werden aber schon seit längerem nicht mehr gefunden.

Größere Energieeffizienz und dezentrale Blockheizkraftwerke
mindern die Profite der Stromkonzerne. Blockieren sie deshalb eine
Energiewende?
Prof. Gege: Ja, hier ist eine Liberalisierung des Energiemarktes
durch eine Freigabe der Netze überfällig. Bisher haben wir ein
Oligopol von vier starken Anbietern, die sich den Markt aufteilen.
Das muss aufgebrochen werden. Gelingt dies, wie zum Beispiel im
Telekommunikationsmarkt, würden die Energiekosten fallen. Warum
müssen die Energieversorger ihre Milliardengewinne jedes Jahr noch
steigern? Begründet wird dies mit den Investitionen in neue
Kohlekraftwerke samt CO2-Abscheidung. Allerdings ist diese
Technologie überflüssig, wenn man massiv in Energieeffizienz und
Erneuerbare Energien investiert. Und wer sich dort Kompetenzen
aneignet, besteht auch auf den neuen Märkten in Osteuropa und Asien,
deren Nachfrage nach neuer Umwelttechnologie wächst.

Nicht jeder Standort ist für jede erneuerbare Energie geeignet.
Braucht Europa ein entsprechendes Management?
Prof. Gege: Ja, die strategische Verteilung von Sonnen- und
Windenergieprojekten oder dem Anbau von Energiepflanzen kann man
nicht dem Markt überlassen. Entsprechend hat die EU auch ihre
Klimastrategie formuliert: Die einzelnen Staaten bekommen zwar
Vorgaben für die CO2-Reduktion, aber es ist ihnen überlassen, wie sie
diese erfüllen. Die größten Potenziale für den Ausbau der
Solarenergie liegen natürlich in Südeuropa. Mit einem Bruchteil des
in der Finanzkrise verbrannten Kapitals hätte man gigantische
Solarkraftwerke in der Sahara bauen können, die ihren Strom über
Leitungsnetze nach Westeuropa transportieren.

Kann Deutschland ein ökologisches Wirtschaftswunder gegen
konkurrierende Nationen gelingen, die Profite auf Kosten der Umwelt
erzielen?
Prof. Gege: Selbstverständlich. Die Verfolgung einer ambitionierten
Klimastrategie samt Zukunftsfonds würde sich für Deutschland als
Standortvorteil erweisen. Denn die Sanierung aller Privat- und
öffentlichen Gebäude, die Optimierung der Produktionsprozesse, der
Einsatz energieeffizienter Geräte, Pumpen, Motoren, Druckluft,
Beleuchtung usw. sowie die Durchsetzung eines nachhaltigen
Mobilitätskonzeptes mit einem attraktiven Nahverkehrsangebot könnte
unseren Bedarf an fossilen Brennstoffen in den kommenden zehn Jahren
um 50 Prozent verringern. Der entscheidende Punkt ist: Wir müssen es
anpacken. Wir müssen den Willen haben, eine entschiedene Klimawende
herbeizuführen.

Das Interview führte Joachim Zießler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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