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Börsen-Zeitung: Die vermurkste Abgeltungsteuer, Leitartikel von Bernd Wittkowski zur Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge, die zum Jahreswechsel in Kraft tritt

Geschrieben am 28-12-2008

Frankfurt (ots) - Drei Jahrzehnte wurde über sie diskutiert, in
drei Tagen tritt sie in Kraft: die Abgeltungsteuer auf
Kapitalerträge. Es ist die folgenschwerste Neuregelung der
Besteuerung dieser Einkunftsart seit Generationen. Teilweise ist
damit ein Paradigmenwechsel im deutschen Steuerrecht verbunden. Denn
erstmalig in dieser Form und mit solcher Tragweite wird hier die
steuerliche Ungleichbehandlung von Arbeit und Kapital eingeführt -
ein Bruch mit einem vermeintlich in Stein gemeißelten Grundsatz.
Ähnlich tief geht der Einschnitt, den die Abschaffung der
Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen nach Ablauf der
Spekulationsfrist bedeutet.

Bisher galt das Prinzip, dass sämtliche Einkünfte addiert und zum
jeweiligen persönlichen Steuersatz dem Zugriff des Fiskus unterworfen
werden. Frau X und Herr Y, die ein gleich hohes steuerpflichtiges
Einkommen erzielen, die eine als leitende Angestellte in Form von
Gehalt und Bonus, der andere als erfolgreicher Geldanleger durch
Zins- und Dividendenerträge, zahlten im Grunde auch den gleichen
Betrag an Vater Staat. Von 2009 an wird nun Frau X abhängig von der
Einkommenshöhe weiter progressiv mit bis zu 45% zur Kasse gebeten,
während Herrn Y nur noch pauschal 25% abgezogen werden (jeweils plus
Solidaritätszuschlag und eventuell Kirchensteuer).

Ungleichbehandlung ist freilich nicht automatisch gleichbedeutend
mit Ungerechtigkeit. Vielmehr gibt es für die Differenzierung
zwischen Einkunftsarten, die ja auch dem bisherigen Recht nicht
völlig fremd ist (man denke an unterschiedliche Freibeträge und
andere Subventionstatbestände), durchaus gute, teilweise sogar
zwingende Gründe: Erstens wird Geldvermögen - Redlichkeit des
Steuerpflichtigen unterstellt - in aller Regel aus bereits
versteuerten Einkünften gebildet, der staatliche Zugriff auf die
Kapitalerträge läuft mithin auf eine fragwürdige Doppelbesteuerung
hinaus. Zweitens rechtfertigt auch die Inflationsanfälligkeit des
Geldvermögens mindestens eine günstigere steuerliche Behandlung.
Diese Begünstigung dient drittens der Förderung des Sparens, die den
Privathaushalten ebenso zugute kommt wie der Volkswirtschaft und dem
Staat.

Die Steuerschuld auf Kapitalerträge mit einem pauschalen und
vergleichsweise niedrigen Satz endgültig zu tilgen, ist vor diesem
Hintergrund also absolut gerechtfertigt. Wird der Obolus zudem gleich
an der Quelle, bei den Banken, einbehalten, ist insoweit auch die
Steuerehrlichkeit gewährleistet, denn die Erträge werden lückenlos
erfasst und belastet. Alles in allem ist die Abgeltungsteuer somit
grundsätzlich eine vernünftige Sache. Und trotzdem ist
Bundesregierung und Gesetzgeber mit ihrem "Jahrhundertwerk" alles
andere als der große Wurf gelungen. Es wäre wohl auch eine Premiere
gewesen, hätte man es hierzulande einmal geschafft, eine gute Idee
nicht doch noch in der Rechtsetzung und Rechtsanwendung zu
vermurksen. Dabei führt die große Koalition in Berlin sogar ihre
eigene Politik ad absurdum. Zum einen wird nämlich durch die in jeder
Hinsicht unbeschränkte Besteuerung der Veräußerungsgewinne das Sparen
bestraft, das der Staat gleichzeitig an anderer Stelle - vor allem
wenn es um die private Altersvorsorge geht - mit enormem Finanz- und
Verwaltungsaufwand zu fördern versucht.

Zum anderen kommt es hier nun wirklich zu einer ebenso
ungerechtfertigten wie ungerechten, zudem aus volkswirtschaftlicher
Sicht kontraproduktiven Ungleichbehandlung. Während Anleger mit
Zinserträgen bei einem persönlichen Steuersatz über 25% entlastet
werden, müssen Sparer, die ihre Altersvorsorge künftig auf Aktien
oder Aktienfonds aufbauen, schon zu einer Art Steuermasochismus
neigen. Denn durch die Besteuerung der Kursgewinne, die im
langjährigen Schnitt zwei Drittel der Gesamtperformance von
Dividendenwerten ausmachen, und die mit der Abgeltungsteuer
beschlossene Abschaffung des Halbeinkünfteverfahrens für
Aktienerträge wird hier die Steuerbemessungsgrundlage im Vergleich
zum Status quo sage und schreibe versechsfacht.

Nun könnte man sarkastisch feststellen, dem bisschen Aktienkultur,
das es in Deutschland überhaupt je gab, habe ohnehin schon die
Finanzkrise den Rest gegeben, da sei die Abgeltungsteuer dann auch
egal. Doch im Ernst: Erstens werden nach der Krise gerade
Vorsorgesparer vermutlich umso mehr auf Renditen angewiesen sein, die
sich auf Dauer nur durch einen ausgewogenen Anlagemix unter
Einbeziehung von Aktien erzielen lassen und die nicht gleich wieder
zum Großteil vom Staat abgeschöpft werden. Zweitens sind die aus der
steuerlichen Anreizwirkung resultierende Schlechterstellung des
Eigenkapitals und vice versa die Bevorteilung der Fremdmittelaufnahme
in betriebs- wie in volkswirtschaftlicher Hinsicht von Übel für die
Unternehmensfinanzierung.

Die Reform der Kapitalertragsbesteuerung war eine geradezu
historische Chance, auf einen Rutsch das Steuerrecht zu vereinfachen,
die Bereitschaft zur privaten Vorsorge zu fördern, die Aktienkultur
weiterzuentwickeln und die Eigenkapitalausstattung der Industrie zu
stärken sowie damit den Wirtschaftsstandort und Finanzplatz
Deutschland im internationalen Wettbewerb voranzubringen. Die
Abgeltungsteuer in der Form, wie sie im Gesetzblatt steht und am
Donnerstag in Kraft tritt, konterkariert jedes dieser Ziele. Das muss
der deutschen Politik erst mal einer nachmachen!

(Börsen-Zeitung, 29.12.2008)

Originaltext: Börsen-Zeitung
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Pressekontakt:
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Redaktion

Telefon: 069--2732-0


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