Berliner Morgenpost: Befindlichkeiten statt Führungsstärke - Kommentar zu Michael Glos
Geschrieben am 08-02-2009 |
Berlin (ots) - Mal angenommen, in einem Unternehmen entschiede der bayerische Regionalverantwortliche darüber, ob der Abteilungsleiter Vertrieb im Amt bleiben darf oder nicht - was würde wohl der Geschäftsführer sagen? Er würde mit der Faust auf den Tisch hauen und auf sein Entscheidungsrecht beharren. Die Kanzlerin hat, wieder einmal, auf solch ein Machtritual verzichtet. Angela Merkel hat die Causa Glos vorerst in den Reihen der CSU gelassen. Es war Seehofer, der sich als Erster - und bislang Einziger - öffentlich zu Glos äußerte und anordnete, er dürfe bis auf Weiteres nicht zurücktreten. Von der Kanzlerin kein Wort, nur ein indirektes: Auch sie sei für den Verbleib des lustlosen Wirtschaftsministers, ließ sie ausrichten. Es verstärkt sich der Eindruck, dass die Kabinettsmannschaft ausgerechnet im Tal der Krise mit jedem Befindlichkeits-Firlefanz beschäftigt ist, aber nicht mit dem Schicksal des Landes und seiner Bürger. Mangelnde Führungsstärke wirft Vizekanzler Steinmeier der Chefin provozierend offen vor, und CSU-Chef Seehofer zelebriert sie nahezu täglich. Die feine Linie zwischen gelassenem Führen und bröselndem Machtgefüge ist nicht immer klar zu sehen. Der Fall Glos illustriert die immense Kluft zwischen den wenigen, die Vertrauen im Kanzleramt genießen oder den Nutzenerwägungen dort dienen, und dem großen Rest. Eine halbwegs sensible Regierungschefin hätte spüren können, dass der Wirtschaftsminister unendlich litt an seinem Amt. Er fühlte sich zum Mobbing freigegeben, erst recht, seit Seehofer in der CSU das Sagen hatte. Glos war abgemagert, sah fahl und mitgenommen aus, seine Laune schwankte zwischen aufbrausend und depressiv. Der barsche Umgang mit einem braven Berliner Polizisten war ein Stress-Symptom. Der Müllermeister aus Franken illustriert den Unterschied zwischen konkreter parlamentarischer Macht und dem Ministerdasein als Showmaster. Als bayerischer Landesgruppenchef ging nichts ohne Glos, kaum diente er als Minister, lief alles an ihm vorbei. Dass die Kanzlerin ihn beim KonjunkturpaketI weder fragte noch symbolisch einband, tat ihm weh. In keinem anderen Ressort klaffen gefühlte und reale Wichtigkeit weiter auseinander. Der Wirtschaftsminister hat vor allem die Stimmungskanone zu bedienen, ein Job, wie gemacht für Dröhnbeutel wie Vorgänger Wolfgang Clement. Die letzte große Entscheidung, die im prächtigen Bau an der Invalidenstraße gefällt wurde, war der Atomausstieg, 2002 verhandelt vom ebenso schlauen wie zurückhaltenden Werner Müller, der als Aufsichtsratschef der Bahn im Kanzleramt bis heute mehr Einfluss haben dürfte als der Amtierende. Bereits Glos' Start war verkorkst, denn eigentlich wollte der gute Mann gar nicht Minister werden. Doch die Flucht von Hasenfuß Stoiber hatte ihn 2005 in die ungeliebte Rolle gezwungen. Es gehört zu den Tragödien der Politik, dass das politische Leben von Michael Glos an seiner Ministerzeit gemessen werden wird. Die Bilanz fällt bescheiden aus: Nicht mal seinen Rücktritt kriegt er ordentlich hin.
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