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Namen und Fotos der Opfer - der Kontext zählt Winnenden: Presserat sieht in 13 Fällen den Kodex verletzt

Geschrieben am 22-05-2009

Bonn (ots) - Der Presserat hat sich auf seinen
Beschwerdeausschuss-Sitzungen am 19. und 20. Mai mit der
Berichterstattung über den Amoklauf von Winnenden auseinandergesetzt
und 13 Verstöße gegen den Pressekodex geahndet. In den meisten Fällen
wurden die Ziffer 8 (Persönlichkeitsrechte) und die Ziffer 11
(Sensationsberichterstattung) verletzt. Der Presserat sprach zwei
öffentliche und eine nicht-öffentliche Rüge aus, fünf Missbilligungen
und fünf Hinweise. Insgesamt hatten sich nach der Tat in Winnenden 79
Leser gegen Beiträge in Print und Online beschwert, in 47 Fällen
hatte der Presserat Beschwerdeverfahren eingeleitet.

Opferfotos als Symbolfotos missbraucht
Die meisten Beschwerden richteten sich gegen die Veröffentlichung der
abgekürzten Namen und Fotos der Opfer des Amoklaufs. Die Nennung und
Abbildung von Opfern hat der Presserat in Ziffer 8, Richtlinie 8.1.,
Absatz 2 deutlich geregelt:

Opfer von Unglücksfällen oder von Straftaten haben Anspruch auf
besonderen Schutz ihres Namens. Für das Verständnis des
Unfallgeschehens bzw. des Tathergangs ist das Wissen um die Identität
des Opfers in der Regel unerheblich. Ausnahmen können bei Personen
der Zeitgeschichte oder bei besonderen Begleitumständen
gerechtfertigt sein.

Den hier festgehaltenen besonderen Begleitumständen der Tat von
Winnenden hat der Presserat in einigen Fällen jedoch Rechnung
getragen. So zeigten mehrere Zeitungen und Zeitschriften
Bildergalerien der Opfer, vorwiegend als Porträtbilder. Der dezente
Umgang in diesen Bildergalerien ohne sensationelle Aufmachung und
unangemessene Formulierungen, sondern lediglich mit dem Hinweis, dass
es sich im Folgenden um die Opfer des Amoklaufs handelt, hält der
Presserat für mit dem Pressekodex vereinbar.

Andererseits hat der Presserat Fälle sanktioniert, bei denen Fotos
und Namen der Opfer lediglich zur Illustration einer Geschichte
benutzt wurden. Hier haben Redaktionen Opferfotos als sensationelles
Element zweckentfremdet, um auf die Story aufmerksam zu machen. Der
jeweilige Kontext der Verwendung war für den Ausschuss hier
ausschlaggebend. Als Symbolfoto können Opferfotos nicht benutzt
werden.

Das Foto eines Holzkreuzes, auf dem der volle Namen einer der
Verstorbenen zu lesen ist, wurde ebenso beanstandet wie die volle
Namensnennung von Opfern mit Vor- und Nachnamen. Mit beiden
Namenszeilen werden die Opfer für die Öffentlichkeit komplett
identifizierbar, wohingegen ein Foto mit Vornamen sie erst einmal nur
in der unmittelbaren Umgebung erkennbar macht. Dies kann nur in ganz
einzelnen Fällen und bei besonderen Umständen zulässig sein.

Generell stellt der Presserat fest, dass das
Mediennutzungsverhalten der Gesellschaft sich durch das Internet sehr
gewandelt hat. Visualisierung ist wichtiger geworden, der Umgang der
Menschen mit eigenen Daten wie Fotos etc. hat sich stark verändert.
Dies hat auch Folgen für die Art der Berichterstattung und die
Spruchpraxis des Presserats.

Name und Foto des Amoktäters - zulässig
Bei dem Amokschützen handelt es sich um einen Jugendlichen, der nach
dem Pressekodex einen besonderen Schutz genießt. Jedoch ist bei einer
derart aufsehenerregenden Tat der Täter zu einer Person der
Zeitgeschichte geworden, über die nach Auffassung des Presserats mit
Foto und Namen berichtet werden darf. Die Abwägung des Interesses der
Öffentlichkeit mit dem Schutz des jugendlichen Täters vor der
Namensnennung fällt hier zu Lasten des Täters aus. Der Presserat
berücksichtigt hier auch, dass sich die Eltern des Täters von sich
aus an die Öffentlichkeit gewandt hatten.

Grafik und 3D-Animation - Heldenpose und Täterperspektive sind
unangemessen sensationell
Die Fotomontage einer Boulevardzeitung, die den Amoktäter in einem
Kampfanzug in heroischer Pose zeigt, wurde genauso gerügt wie eine
Grafik, die die Situation in einem Klassenzimmer nachzeichnet. Hier
wird der Moment des Tötens einer Person dargestellt. Dies ist, vor
allem mit Blick auf die Hinterbliebenen der Opfer, nicht mit Ziffer
11 des Pressekodex vereinbar.

Auf der Online-Seite einer Boulevardzeitung zeigt eine
3D-Animation, wie sich der Amoktäter durch die Schule bewegte und wen
er dabei erschoss. Presseethisch nicht vertretbar ist die Perspektive
der Animation. Hier kann sich jeder Online-Nutzer in die Rolle des
Täters hineinversetzen und den Amoklauf quasi nachspielen. Die
Animation in Anlehnung an die so genannten Ego-Shooter-Spiele geht
nach Auffassung des Presserats zu weit.

Video der letzten Minuten des Amokschützen - Plenum entscheidet
Ein mit einem Handy gefilmtes Video, das auf mehreren Internetseiten
von Zeitungen und Zeitschriften zu sehen war, zeigt, wie der
Amoktäter angeschossen wird, zu Boden fällt und sich dann selber
richtet. Erkennbar sind allerdings nur Umrisse, der Leser kann dem
Täter nicht ins Gesicht blicken. Infolge unterschiedlicher
Einschätzungen durch die beiden Ausschüsse, befasst sich am 9.
September 2009 das Plenum mit dem Video.

Satire und Amoklauf - in Einzelfällen zulässig
Der Presserat hat sich ebenfalls mit der satirischen Bearbeitung des
Amoklaufs befasst - und hält sie in Einzelfällen für vertretbar. Es
ist immanent, dass bei einem traumatischen Erlebnis wie diesem sehr
viele Leser einen satirischen Umgang für geschmacklos halten. Dies
kann der Presserat nachempfinden und beurteilt es zum Teil auch so.
Die Auffassungen über guten und schlechten Geschmack sind jedoch
bekanntlich sehr unterschiedlich. Daher hat es sich der Presserat zum
Prinzip gemacht, keine Bewertungen über Geschmacksfragen abzugeben.
In dem vorliegenden Fall erkannte er die Beschwerden für von der
Satirefreiheit gedeckt.

Originaltext: Deutscher Presserat
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/14918
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_14918.rss2

Pressekontakt:
Deutscher Presserat
Ella Wassink und Edda Kremer
Tel.: 0228 - 985720
Fax: 0228 - 98572 - 99
E-Mail: info@presserat.de


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