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Erste Jahrestagung des Deutschen Ethikrates zur Neuroethik fand große öffentliche Resonanz

Geschrieben am 29-05-2009

Berlin (ots) - Mehr als 450 Teilnehmer aus allen Bereichen des
gesellschaftlichen Lebens verfolgten am 28. Mai 2009 in Berlin die
erste Jahrestagung des Ethikrates zum Thema "Der steuerbare Mensch?
Über Einblicke und Eingriffe in unser Gehirn".

Die Neurowissenschaften entwickeln immer neue Erkenntnis- und
Handlungsmöglichkeiten, deren Tragweite trotz oder gerade wegen
verheißungsvoller Anpreisungen oft schwer abzuschätzen ist.

Die besondere Brisanz liege darin, dass sich nicht nur Fragen
innerhalb der Ethik stellen, wie etwa bei der Stammzellforschung
auch, sondern dass die Grundlagen und Voraussetzungen der Ethik
selbst berührt seien, da wir das Verhältnis zu uns selbst überdenken
müssen, stellte die stellvertretende Vorsitzende Christiane Woopen in
der Einführung heraus. Unser Menschenbild beeinflusse die Art und
Weise, wie wir ethische Fragen stellen, welche Fragen wir für
besonders wichtig halten und welche Antworten darauf gegeben werden.

Können uns Bilder des Gehirns dabei helfen, unser Denken und
Fühlen zu verstehen? Ist es vertretbar, dass auch Gesunde zur
Leistungssteigerung Medikamente nehmen, die für die Behandlung bei
psychischer Krankheit, Demenz oder Aufmerksamkeitsstörungen
entwickelt wurden? Wohin könnte es führen, wenn implantierte
Elektroden immer gezielter Hirnfunktionen wie Motorik, Sprache und
Stimmung beeinflussen können? Diese drei Fragen standen im
Mittelpunkt der Tagung.

Die Neuropsychiaterin Barbara Wild zeichnete im einführenden
Referat die historische Entwicklung unserer heutigen Vorstellungen
vom Gehirn und - damit verbunden - unseres Bildes vom Menschen nach
und gab einen Überblick über den aktuellen Stand der Hirnforschung.

Der Neurobiologe John-Dylan Haynes beleuchtete das noch junge
Forschungsfeld des "Brain Readings", das untersucht, inwieweit man
von Hirnprozessen einer Person auf Gedankeninhalte schließen kann. Es
sei zwar derzeit noch nicht möglich, beliebige Gedanken zu
interpretieren oder Erkenntnisse von einer Person auf eine andere zu
übertragen; mit den bereits heute verfügbaren einfacheren Ansätzen
zeichneten sich jedoch vielfältige Anwendungsmöglichkeiten ab,
insbesondere in der Forensik und Kriminologie - Stichwort
Lügendetektor - oder bei der Steuerung von Computern und künstlichen
Prothesen mittels Gedanken.

Die Psychiaterin Isabella Heuser berichtete, dass bei gesunden
Menschen der Trend zur Einnahme von Präparaten zur Verbesserung und
Steigerung kognitiver Leistungen stark steige. Dabei handele es sich
in erster Linie um Präparate, die zur Behandlung von
Aufmerksamkeitsstörungen, Narkolepsie und Demenzkrankheiten
entwickelt wurden. In ihrem Beitrag stellte sie die
Forschungsergebnisse zu den Wirkungen und Nebenwirkungen von
Antidepressiva, Stimulanzien und Antidementiva und die damit
verbundenen ethischen Probleme vor.

Der Psychiater Thomas Schläpfer beschrieb in seinem Vortrag die
tiefe Hirnstimulation als ein hochwirksames Verfahren zur Modulation
stark gestörter neuronaler Aktivität und zur Therapie von mit anderen
Verfahren nicht behandelbaren neurodegenerativen und psychiatrischen
Erkrankungen. Schläpfer betonte, dass das Verfahren im Unterschied
zur Psychochirurgie des letzten Jahrhunderts minimal invasiv, wenig
belastend und voll reversibel sei. Oft können die Betroffenen erst
durch diese Behandlung wieder ein selbstbestimmtes Leben führen.

Der Jurist Tade Matthias Spranger verwies darauf, dass in der
Bewertung der Verfahren letztlich die Menschenwürde ausschlaggebend
sei, die unabwägbar ist. Das "Gedankenlesen" mithilfe bildgebender
Verfahren in Strafverfahren sei nicht zulässig, wenn es gegen den
Willen der betroffenen Person geschieht, da jeder Mensch das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung habe. Daneben ergäben sich aber
auch Möglichkeiten zur Verbesserung der rechtlichen Situation z. B.
behinderter Menschen, die mithilfe der Technik ihre Bedürfnisse
besser kommunizieren und auf diese Weise ihre Rechtsfähigkeit
wiedererlangen können.

Für den Strafrechtler Henning Rosenau sind Eingriffe in das Gehirn
dann von juristischem Belang, wenn Sie das Bild des Menschen und den
Kern des Menschseins berühren. Es stelle sich jedoch die Frage, ob
derartige Eingriffe bereits menschenwürderelevant und somit der
Verfügungsbefugnis des Betroffenen entzogen seien. Außerdem müsse
geklärt werden, ob Neuro-Enhancement aus gesellschaftlichen Gründen
mit juristisch stichhaltiger Argumentation begrenzt werden könne.

Der Philosoph Ludger Honnefelder befasste sich mit der ethischen
Dimension der Hirnforschung, mit dem Fazit, dass die Frage des
Neuro-Enhancements vor allem als Frage nach der Authentizität, nach
der Wahrung der personalen Identität in der Führung des eigenen
individuellen Lebens diskutiert wird. Die Steigerung kognitiver
Fähigkeiten des Menschen sei nur legitim, wenn es in der Gesellschaft
einen Konsens darüber gebe, welche Ziele damit erreicht werden
sollen.

Der Soziologe Wolfgang van den Daele und der Theologe Dietmar
Mieth griffen diese Gedanken im abschließenden Streitgespräch auf.
Van den Daele zeigte sich davon überzeugt, dass jeder für sich selbst
entscheiden kann und muss, ob er noch authentisch leben kann, wenn er
sich des Neuro-Enhancements bedient. Jedes fremde Urteil sei eine
Anmaßung.

Mieth dagegen mahnte eine gesellschaftliche Debatte an, die zu
konsensfähigen Beschlüssen darüber führt, was wir können, zulassen
und erreichen wollen. Letztlich könne man zwar nicht verbieten, dass
Menschen ihr eigenes Gehirn manipulieren; man könne jedoch der
Entwicklung schädlicher Produkte und Maßnahmen sowie fremdnützigen
Versuchen und Anwendungen rechtliche Grenzen setzen.

Das Publikum äußerte sich in drei Diskussionsrunden überwiegend
kritisch gegenüber dem Neuro-Enhancement. Vorgebracht wurde
insbesondere die Befürchtung, dass - gerade in einer von starkem
Wettbewerb gekennzeichneten Leistungsgesellschaft - mit der
zunehmenden Verfügbarkeit solcher Methoden der Druck auf den
Einzelnen wachse, sie auch anzuwenden.

Das Programm der Jahrestagung und die Abstracts der Vorträge sind
unter http://www.ethikrat.org/de_veranstaltungen/jt09.php abrufbar.
Demnächst werden an dieser Stelle auch die Präsentationen und
Audiomitschnitte verfügbar sein.

Originaltext: Deutscher Ethikrat
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/42978
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_42978.rss2

Pressekontakt:
Ulrike Florian
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Deutscher Ethikrat
Jägerstrasse 22/23
D-10117 Berlin
Tel: +49 +30 203 70-246
Fax: +49 +30 203 70-252
E-Mail: florian@ethikrat.org
URL: http://www.ethikrat.org


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