Rheinische Post: Wahl ohne Pflicht
Geschrieben am 09-06-2009 |
Düsseldorf (ots) - von Matthias Beermann
Die niedrige Beteiligung bei der Europawahl hat prompt aufgeregte Politiker-Forderungen ausgelöst: Eine Wahlpflicht müsse her, um die Leute an die Urne zu treiben. Dass die Idee aus den Reihen der SPD kommt, die ganz besondere Mühe hatte, ihre Wählerschaft zu mobilisieren, ist dabei sicher kein Zufall. Aber auch in anderen Parteien gibt es klammheimliche Anhänger der Vorstellung, man könne die Menschen zu ihrem Wahlglück zwingen. Wie das funktioniert, übrigens ganz ohne offizielle Verpflichtung, das hat uns ja die DDR vorgeführt. Die Arbeiter und Bauern strömten fast zu 100 Prozent an die Urnen, um die Einheitslisten abzunicken. Sonst, das wusste schließlich jeder, hätte man Ärger bekommen. Wahl als Zwang - bis heute mögen viele Ostdeutsche die Demokratie auch wegen dieser Erfahrung nicht als große Errungenschaft begreifen. Es hat schon seinen Grund, dass nur wenige europäische Nachbarn die Wahlpflicht haben: Liechtenstein, Luxemburg, Belgien und Griechenland. Denn in Wahrheit sind doch nicht wir Wähler, sondern die Politiker in der Pflicht. Ihr Angebot muss attraktiv sein. Wenn es um etwas ging in diesem Land, wenn es scharfe politische Alternativen gab, dann war auch die Wahlbeteiligung stets hoch. Ohne Pflicht.
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