Berliner Morgenpost: Politiker in der Moralfalle - Kommentar
Geschrieben am 26-08-2009 |
Berlin (ots) - Stellen wir uns vor, ein junger Mensch hat einen seltsamen Berufswunsch und will Politiker werden. Dieser junge Mensch hat studiert, eine Weile im Ausland verbracht, ist vertraut mit moderner Technik und hat in einem Unternehmen gar ein wenig leiten geübt. Er oder sie könnte überall gut verdienen, möchte aber dennoch Volksvertreter werden; erst Abgeordneter, später vielleicht Minister - so wie zu Guttenberg. Die vergangenen Wochen werden jede politische Nachwuchskraft, die halbwegs bei Sinnen ist, bekehrt haben: Politiker, das sind doch die, die selbst dann geschlachtet oder verächtlich gemacht werden, wenn sie sich an die Vorschriften halten. Wehe, man lässt sich von der Kanzlerin zum Essen einladen. Wehe, man hält sich an die Regeln beim Dienstwagengebrauch. Empörungswellen brausen auf, vom medialen Sog aufgebauscht, an deren Ende wie Strandgut immer eine Botschaft liegen bleibt: alles Verbrecher, keine Moral, parteiübergreifend. Damit der öffentliche Hass nicht so allein ist, fügt ein Scherzkeks noch reichlich Hohn dazu. Welcher Qualifizierte will sich diese Folter antun? Der Politiker steckt in der Moralfalle: Denn er macht immer alles falsch. Eine Ministerin, die mit dem Dienstwagen im Urlaub weilt? Unmoralisch wegen Verschwendung. Eine Ministerin, die im Ernstfall nicht schnell genug in Berlin ist? Erst recht unmoralisch, weil sie sich nicht kümmert. Eine Kanzlerin, die Unternehmenslenker zum Essen bittet? Verschwenderin. Eine Kanzlerin, die ihre Kontakte in die Wirtschaft nicht pflegt? Verantwortungslos. Das Schöne an der Moral ist: Mit ihr im Bunde lässt sich immer alles verurteilen. Die empört vorgetragenen Moralrituale schrauben öffentliche Debatten allerdings in ein schwarzes Loch. Denn ängstliche Politiker fühlen sich gezwungen, Tatsachen zu verschleiern. Ulla Schmidt wagte nicht zu sagen, dass es bequemer ist, wenn die feine Karre auch in den Ferien vor der Tür steht. Wo ist das Problem, sofern die private Nutzung nach den geltenden Regeln bezahlt wird? Auch die Kanzlerin verweigert die Auskunft. Mag eine Regierungschefin das Recht und eine Bewirtungskasse haben, um vom Bank-Chef bis zum Streetworker einzuladen, wen sie will - gegen die Moral hat sie keine Chance. Angela Merkel weiß genau, was geschieht, wenn Dinner-Details an die Öffentlichkeit geraten. Ein absehbarer Fall von Suppen-Hysterie. Statt Dienstwagen-Kleinkram und Abendbrot-Krümel wäre es allemal angemessener, die Vorgänge bei Opel in den Blick zu nehmen oder das Drama bei der HRE. Dort werden Milliarden abgeworfen, die künftig bei der Bildung fehlen. Wer diese Baustellen haushaltsschonend bewältigt, darf Dienstwagen fahren und Kanzler-Wein trinken, so viel er will. Für derart komplexe Probleme allerdings braucht man Fachleute. Die aber werden sich nicht in der Politik filetieren lassen.
Originaltext: Berliner Morgenpost Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2
Pressekontakt: Berliner Morgenpost Telefon: 030/2591-73650 bmcvd@axelspringer.de
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
221144
weitere Artikel:
- Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Atomendlager/zum Atomenergie Bielefeld (ots) - Über Chancen und Risiken der Kernenergie lässt sich trefflich streiten. Nicht aber über die Notwendigkeit, den strahlenden Müll aus den Atommeilern so sicher wie irgend möglich zu verwahren - und das über tausende und abertausende von Jahren hinweg. Nun ist es ausgerechnet Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD), der mit drei markigen Worten alle bisherigen Planungen umstößt: »Gorleben ist tot.« Man könnte diesen Vorstoß als reines Wahlkampfgeklingel abtun. Dann aber hätte sich Gabriel selbst ein Bein gestellt. Wer, mehr...
- Westfalenpost: Struck: Merkel muss den Bürgern klarer sagen, was Sache in Afghanistan ist Hagen (ots) - Hagen. Der Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorgeworfen, den Bürgern die Bedeutung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr nicht hinreichend genug zu erklären. Afghanistan müsse viel stärker als bisher zum gesellschaftlichen Thema in Deutschland werden. Der Ex-Verteidigungsminister sagte der in Hagen erscheinenden Westfalenpost (Donnerstagsausgabe): "Ich erwarte von Bundeskanzlerin Merkel, dass sie den Menschen viel deutlicher sagt, warum wir da sind. Sie muss klipp mehr...
- Rheinische Post: Aufschwung in Sicht Kommentar Von Martin Kessler Düsseldorf (ots) - Finanzkrisen können zwei Verläufe nehmen. Der erste entspricht dem, was medizinisch einer schweren Epidemie gleichkommt. Alle werden angesteckt, die Verwerfungen sind riesig, und die Wirtschaft braucht viel zu lange, um wieder Tritt zu fassen. Das war die Situation 1929. In Deutschland dauerte es fünf Jahre, in den USA sogar zehn, bis die Konjunktur wieder ansprang - mit allen Folgen. Die Alternative dazu ist ein Krisenverlauf, der zunächst alle in Angst und Schrecken versetzt. Das Weltfinanzsystem gerät ins Schwanken, mehr...
- Rheinische Post: Das Ende einer Ära Kommentar Von Frank Herrmann Düsseldorf (ots) - Kein Zweifel, es ist eine Ära zu Ende gegangen. Klar, man sollte sich hüten, zu schnell von historischen Momenten zu reden. Aber bei Edward Kennedy hat es seine Berechtigung. Zuallererst liegt das an seinem Clan, dem berühmtesten, den die amerikanische Politik je hervorbrachte. Eine Familie auf der Achterbahn, mal ganz oben auf dem Olymp, mal tragische Heldin wahrhaft griechischer Tragödien. Nie mittelmäßig. John F. Kennedy hat als Präsident viele so inspiriert, dass man Barack Obama noch über vierzig Jahre später den mehr...
- Rheinische Post: Lasst es gut sein, Wahlkämpfer Kommentar Von Reinhold Michels Düsseldorf (ots) - Man möchte den Wahlkampf-Recken von Union und SPD, die ihre Kampagnen zum eigenen Nutzen und zum Schaden der Konkurrenz mit Skandälchen würzen wollen, zurufen: Es schmeckt nicht mehr, lasst es gut sein! Ulla Schmidt (SPD) muss sich zwar vorhalten lassen, es mit der Lust auf Fahrkomfort auch in den Ferien übertrieben zu haben. Aber es gibt jetzt ein Reue-Bekenntnis. Das kommt spät, aber nicht zu spät. Schmidt hat ihrem armen Kanzlerkandidaten Steinmeier, der nicht voran kommt, mehr geschadet als dem Land. Das hat schon mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|