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Berliner Morgenpost: Auf dieser Buchmesse haben Worte besonderes Gewicht - Leitartikel

Geschrieben am 14-10-2009

Berlin (ots) - War es richtig, China zum Ehrengast der Buchmesse
zu machen? Ein Land, in dem nach wie vor Zensur herrscht und
missliebige Autoren gegängelt oder in Haft gehalten werden? Noch kann
keiner eine vernünftige Antwort auf diese Frage geben. Denn sie wird
von den Ergebnissen der Messe abhängen. Sollte der Ehrengast-Auftritt
dazu beitragen, die Machthaber des Landes zu ein wenig mehr
Liberalität und Meinungsfreiheit zu bewegen, war die Einladung ein
politischer Erfolg, und man muss den Organisatoren der Messe
gratulieren.
Doch schon jetzt war durch die Einladung eine Menge zu lernen. Die
erste Lehre betrifft das Eigengewicht der Worte. Ein Ehrengast hat
ein Anrecht auf Hochachtung. Sein Status ist eine Auszeichnung für
Verdienste, die der Ehrengastgeber bewundert. Doch der Vertrag über
Chinas Auftritt in Frankfurt wurde nicht mit bewundernswerten
Verlegern oder Schriftstellern geschlossen, sondern mit dem
Ministerium für Presse und Propaganda, also mit den Zensoren des
Landes. Der chinesischen Delegation gehören Vertreter an, die mit
Meinungsfreiheit wenig im Sinn haben. Es macht den notwendigen Streit
mit ihnen nicht leichter, wenn sie sich auf ihre Rolle als Ehrengäste
berufen können.
Rund 500 Veranstaltungen werden in Frankfurt dem Ehrengastland und
seiner Kultur gewidmet sein. Auf 250 davon, die nicht das offizielle
China, sondern ausländische Verlage ausrichten, kommen kritische
Stimmen zu Wort, also Autoren, die den Machthabern nicht nach dem
Munde reden. Doch das heißt noch lange nicht, dass beide Seiten
miteinander ins Gespräch kämen. Der zentrale Ort, an dem sich die
Repräsentanten des Regimes ihren Kritikern stellten, ist nicht in
Sicht. Doch damit wird das Konzept der Messe fragwürdig, neutrale
Plattform für den Meinungsstreit zu sein. Sie kann Vielfalt
garantieren, doch der Konfrontation kann ein Ehrengast bequem
ausweichen.
Und schließlich noch diese Lehre: Ein Politiker muss im Interesse
seines Landes auch mit Diktatoren oder autoritären Herrschern
verhandeln. Ein Intellektueller jedoch sollte, wenn er glaubwürdig
bleiben will, einen Diktator einen Diktator nennen und einen
autoritären Herrscher einen solchen. Angela Merkel, Roland Koch und
Petra Roth schlugen bei der Eröffnung dem Ehrengast gegenüber einen
politisch rundum verantwortlichen, diplomatischen Ton an. Das ist
ihre Aufgabe. Buchmesse-Direktor Juergen Boos und Börsenverein-Chef
Gottfried Honnefelder taten es ihnen gleich. Ist das ihre Aufgabe? Zu
den besten Traditionen der Literatur gehört es, den Einzelnen gegen
die Zumutungen der Politik zu verteidigen. In China wird Liu Xiaobo,
der Ex-Präsident des unabhängigen chinesischen PEN und
Bürgerrechtler, seit Monaten in Haft gehalten. Er hat ein Anrecht
darauf, vom Literaturbetrieb nicht vergessen zu werden. Nach seinem
Schicksal müssen die chinesischen Machthaber in Frankfurt im Namen
der Literatur gefragt werden. Hätte es dafür eine bessere Gelegenheit
als die Eröffnungsveranstaltung gegeben? Doch Liu Xiaobos Name fiel
nicht.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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