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Wieso die Menschen den Eindruck haben: Er hat sich für uns geopfert / Psychologischer Kommentar zum Tod Robert Enkes / Von Dipl.-Psychologin Ines Imdahl, rheingold Institut Köln

Geschrieben am 16-11-2009

Köln (ots) - Deutschland ist erschüttert vom Selbstmord des
Nationaltorwarts - auch Menschen, die man nicht wirklich als
Fußballfans bezeichnen kann und die ihn vielleicht auch nicht einmal
richtig kannten. Wie kann jemand, der so erfolgreich ist, eine
liebende Ehefrau hat und sogar einen der härtesten Schicksalsschlag
des Lebens, den frühen Tod seiner Tochter, mit der Adoption eines
Kindes verarbeitet zu haben scheint, sich einfach vor den Zug werfen?

Die schnelle Antwort auf diese Frage, am Tag 'danach' lautet
Depression. Das erleichtert einerseits: man hat eine Erklärung für
das Unfassbare. Gleichzeitig aber ist diese Erklärung selbst
unheimlich. Passt sie doch so gar nicht zum Bild das man gerne von
Depressiven hat: Antriebslos, offensichtlich traurig und vor allem
nicht erfolgreich - weder beruflich, noch privat. Wieso war Robert
Enke eigentlich depressiv? Gäbe es da nicht eine Menge mehr Menschen,
die Grund zur Depression hätten?

Die Erschütterung lässt sich weder durch den Selbstmord noch durch
die Depression allein erklären. Und auch die Wichtigkeit des
Fußballs in Deutschland reicht nicht aus. Wir sind bewegt, weil wir
mitbekommen, dass Robert Enkes Freitod vielmehr mit uns, unserem
Alltag und unserem Leben zu tun hat als wir wahrhaben möchten.

Unser Traum vom Glück:

1. Lebensgier

In Deutschland gibt es derzeit einen besonderen Traum vom Glück.
Wir wollen alle uns gebotenen Chancen und Möglichkeiten aufgreifen,
nichts auslassen, ja nichts verpassen - jeder ungenutzten Chance wird
nachgetrauert. Geschürt wird diese 'Gier' auf das Leben durch die
Krise: Jeder Tag soll ausgekostet werden, man will das Leben
genießen, solange es noch geht. Trotzkonsum und Carpe Diem statt
Trauermiene. Dabei glauben wir selbst unseres Glückes Schmied zu
sein. Mit Leistung und Disziplin kann man fast alles erreichen. Den
Rest erledigen Schönheitschirurgie und Gentechnologie, der sich
zunehmend gern bedient wird.

2. Perfektionsdruck:

Chancen und Möglichkeiten haben sich längst verkehrt in einen
ungeheuren Druck: Man muss, weil man kann! Auf allen Ebenen soll
herausgeholt werden, was herauszuholen ist - das 'Glück soll beim
Schopfe gepackt werden'. Das gilt natürlich insbesondere auch für
den Leistungssport Fußball. Keine Leistung oder keine Lust, das wird
nicht akzeptiert. In dieser Logik wehrt Robert Enke möglichst alle
Treffer des Lebens ab. Er steht wie eine 1 und brilliert dadurch als
nationaler Abwehrchef.

3. Zwang zum Glück:

Soweit ist das Ganze noch nicht überraschend: Die Deutschen haben
ihre 'Leistungen' und ihren Fußball immer sehr ernst genommen - fast
schon verbissen sich an allem abgearbeitet. Aber die Lebensgier der
Menschen - geschürt durch die immer größer werdende Vielfalt an
Möglichkeiten und die Krise verlangt jetzt noch mehr:

Wir erwarten und suchen in all dem Tun und Getriebensein unser
Glück. Die Perfektion soll leicht daher kommen - wir sollen dabei
noch froh und munter sein. Sich zu beschweren passt nicht zu unserem
Traum vom Glück. Wir haben ja alles - zumindest haben wir alle
Möglichkeiten. So wie Robert Enke auch oder insbesondere auch einer
wie Robert Enke.

4. Hoffnung auf Erlösung:

Aber wir sind nicht glücklich - nicht wirklich jedenfalls. Wir
demonstrieren es nur jedem - auch uns selbst. Wir tun als ob, wahren
den Schein oder glauben immer noch alles schaffen zu können - im
Privaten und in der Wirtschaft. Genau so, wie Robert Enke und seine
Frau das glaubten. Sein Freitod aber zeigt, was passiert, wenn die
Depression immer verleugnet und versteckt wird. Wir ahnen, dass unser
Verhalten und Verdrängen ebenfalls furchtbar - nämlich 'tödlich' -
enden kann. Das erschüttert uns.

Robert Enkes Tod führt uns aber auch vor Augen, wie sehr wir uns
wünschen aus dieser Mühle von Perfektionsdruck und Glückszwang Glück
herauszukommen - zuzulassen, dass es uns gar nicht so gut geht,
obwohl wir einen Job haben, eine Familie oder einen, der uns liebt .
Wir hoffen auf eine Veränderung, eine (Er-)Lösung und darauf
zumindest zugeben zu können, dass nicht alles Glück ist, was glänzt.

Der Tod ist die radikalste aller vorstellbaren Veränderungen -
wenn sich nichts mehr bewegt, dann bewegt der Tod. Der Freitod von
Robert Enke ist daher nicht nur ein Ende, sondern könnte auch ein
Anfang sein. Eine Er-Lösung nicht von dem Bösen, sondern von unserem
'Zwang zum Glücklichsein'. Wir könnten veranlasst werden wieder
genauer hinzuschauen, sich auf Krisen einzulassen, sie anzupacken und
zu durchleiden - statt sie zu verdrängen und mit immer neuen
(Staats-)Millionen zu versuchen, sie doch noch abzuwenden.

Robert Enkes Selbst-Opferung, ist eine moderne Jesus-Geschichte.
Er ist stellvertretend für uns 'gestorben' und zeigt uns, wie sehr
wir unter unserem Lebensmodell leiden. Auch das erschüttert uns. Nun
haben wir die Wahl. Verdrängen wir weiter wie bisher und nehmen im
Laufe der Zeit weitere Opfer in Kauf? Oder nutzen wir diese
Zuspitzung als Chance etwas zu verändern? Bisher hat Enkes Opfer zu
einer kurzen Be-Sinnung geführt innerhalb der Gesellschaft geführt.
Führt dieses Innehalten zu einer Abkehr von unserer
leistungsgetriebenen Jagd nach dem 'Glück', dann wäre der Tod von
Enke vielleicht nicht umsonst gewesen. Wie schnell sich jedoch nach
der Absage des Länderspiels 'business as usual' einstellt, bleibt
abzuwarten.

Ines Imdahl

Diplom-Psychologin
Geschäftsführerin des Kölner rheingold Institutes für qualitative
Markt- und Medienanalysen

Originaltext: rheingold GmbH & Co. KG
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/14527
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_14527.rss2

Pressekontakt:
Rainer Pfuhler
Leiter Marketing und Unternehmenskommunikation
rheingold Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen
Tel.: 0221-912 777 - 38
mailto pfuhler@rheingold-online.de


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