Landeszeitung Lüneburg: ,,Geld wird extrem ineffizient eingesetzt" -- Interview mit Prof. Dr. Peter Bofinger
Geschrieben am 10-12-2009 |
Lüneburg (ots) - Die Finanzplanung der schwarz-gelben Bundesregierung gerät aus den Fugen. 2010 muss Bundesfinanzminis"ter Wolfgang Schäuble voraussichtlich 100 Milliarden Euro neue Schulden machen. Dennoch wollen Union und FDP am Steuerpakt festhalten. Damit zeichnet sich für spätestens 2011 ,,ein brutaler Sparkurs" ab, betonte Prof. Dr. Peter Bofinger. Der Wirtschaftsweise übte im Gespräch mit unserer Zeitung erneut harte Kritk an den schwarz-gelben Plänen. In einer Zeit, in der das Geld sehr knapp ist, setzt die Regierung ,,öffentliche Mittel extrem ineffektiv ein". Das gelte auch für die geplante Erhöhung des Kindergeldes, die in seinen Augen ,,nicht zielgerichtet" ist.
Herr Prof. Dr. Bofinger, Sie und ihre vier Kollegen vom Sachverständigenrat haben kürzlich die Steuerpläne der Bundesregierug scharf kritisiert. Nun hat der Bundesrechnungshof nachgelegt und kein gutes Haar an den Plänen gelassen. Können Sie sich erinnern, wann es in der Vergangenheit eine ähnlich große Diskrepanz zwischen Regierungspolitik und Expertenmeinung gegeben hat?
Prof. Dr. Peter Bofinger: In der Vergangenheit wurden zwar viele Vorschläge des Sachverständigenrates nicht aufgegriffen. Aber dass die Pläne einer Regierung und die Empfehlungen des Sachverständigenrates so weit auseinandergehen, ist schon sehr ungewöhnlich.
Ist das Wachstumsbeschleunigungsgesetz vor allem eine Schuldenwachstumsbeschleunigung?
Bofinger: In einer Zeit, in der Geld extrem knapp ist, setzt das Gesetz öffentliche Mittel extrem ineffektiv ein. Das gilt nicht nur für die Reduzierung der Mehrwertsteuer in der Hotelbranche, sondern auch für das Kindergeld. Wir haben gerade im frühkindlichen Bereich riesige Defizite. Diese führen dazu, dass in Deutschland -- mehr als in anderen Ländern -- der soziale Hintergrund entscheidend dafür ist, was aus einem jungen Menschen wird. Wenn man schon Geld in die Hand nimmt, um etwas für Kinder zu tun, sollte es zielgerichtet sein: Etwa ein kostenloser Kindergartenbesuch oder ein verpflichtendes Vorschuljahr. Wir haben im Sachverständigenrat ein solches Programm zusammengestellt, das rund zehn Milliarden Euro kostet.
Also gezielte Investitionen statt Gießkannenprinzip?
Bofinger: Ja, gezielt an Schwachstellen ansetzen, statt etwa besser- oder gutverdienende Familien noch mit einem höheren Kindergeld zu beglü"cken.
Der Sachverständigenrat prognostiziert in seinem Gutachten für 2010 durchschnittlich 3,9 Millionen Arbeitslose. Ist das angesichts der anziehenden Konjunktur und der gerade beschlossenen Verlängerung der Kurzarbeitsregelung nicht etwas zu pessimistisch?
Bofinger: Nein. Wir müssen einfach sehen, dass Deutschland eines der Länder ist, das am stärksten von der schweren Rezession betroffen ist, zugleich aber einen der geringsten Anstiege der Arbeitslosenquote zu verzeichnen hat. Das ist im Grunde erfreulich und liegt an der hohen Flexibilität auf Unternehmensebene sowie der Kurzarbeitsregelung. Aber auch mit prognostizierten 1,6 Prozent Wachstum haben wir 2010 eine massive Unterauslas"tung vor allem in der Industrie, die auf die Schnelle nicht abgebaut werden kann. Daher planen viele Unternehmen Personalreduzierungen. Insofern sind 3,9 Millionen Arbeitslose 2010 noch eher eine optimistische Prognose.
Wo sehen Sie die größten Gefahren für die Konjunktur?
Bofinger: Wir haben sicher Risiken beim privaten Verbrauch. Gerade wegen der Kurzarbeit spüren immer mehr Arbeitnehmer, dass die Krise nun auch in ihrem Portmonee ankommt. Zudem stellt sich die wichtige Frage, wie stabil der Gesundheitszustand des Patienten Weltwirtschaft ist, wenn er aus der Intensivstation -- also den staatlichen Förderungen wie Abwrackprämie und anderen Konjunkturprogrammen -- entlassen wird.
Sie haben kürzlich die Bundesregierung vor einer Überreaktion im Kampf gegen die Kreditklemme gewarnt. Begrüßen Sie insofern den von Banken geplanten Mittelstandsfonds?
Bofinger: Es ist sicher vernünftig, dass man sich Gedanken macht, wie man Unternehmen nicht nur mit Krediten versorgt, sondern auch mit einer besseren Eigenkapitalausstattung. Ich hatte auch nicht gesagt, dass die Regierung nichts tun soll. Vielmehr soll sie dort gezielt vorgehen, wo tatsächlich eine Reduktion des Kreditvolumens erkennbar ist. Das sind zum Beispiel die Landesbanken, wo ich seit Ausbruch der Krise bei der Politik keine allzu große Bereitschaft sehe, grundlegende Veränderungen einzuleiten. Dabei hat es die Regierung in der Hand, dort Bewegung hereinzubringen -- zumal es sich durchweg um Landesbanken in unionsgeführten Bundesländern handelt. Auch bei Großbanken ist die Kreditvergabe schwach. Hier sollte die Regierung prüfen, ob es nicht auch Defizite bei der derzeit quasi staatseigenen Commerzbank gibt.
Im Kampf gegen die Finanzkrise haben die Notenbanken mit mehreren Billionen Euro den Markt überschwemmt -- zu historisch niedrigen Zinsen. Wo sind denn die Billionen geblieben?
Bofinger: Ein großer Teil des Geldes wird von den Banken als ,,Vorsichtskasse", also als sogenannte Überschussreserve, gehalten. Noch sind die Banken bezüglich ihrer Refinanzierungsmöglichkeiten vorsichtig. Aber sobald sich die Lage an den Finanzmärkten stabilisiert, können die Notenbanken dieses Geld relativ schnell wieder einziehen.
Die anziehenden Preise für Rohstoffe, Aktien und Immobilien deuten aber eher darauf hin, dass einige Banken das Geld lieber spekulativ anlegen als es Firmen für Investitionen zur Verfügung zu stellen. Entstehen hier nicht Blasen, die bald zu platzen drohen?
Bofinger: Man muss zwischen gut- und bösartigen Blasen unterscheiden. Die Aktienblasen gehören zu den gutartigen Blasen, weil sie den Vorteil haben, dass sich die Leute zeitweise reicher fühlen -- was in der derzeitigen Konjunkturlage gar nicht so schlecht ist. Wenn die Blase platzt, stellen sich keine anhaltenden Fehlentwicklungen ein. Platzt aber eine Immobilienblase, sorgt das für verbrannte Erde, weil über Jahre hinweg Milliarden Euro volkswirtschaftlich falsch investiert worden sind, sich viele Arbeitnehmer auf diesen Bereich spezialisiert hatten. Und es dauert Jahre, bis sich der Immobilienbereich erholt.
Derzeit kostet Kakao 2,20 Euro pro Kilo -- so viel wie seit den 70er-Jahren nicht mehr. Ebenso wie bei den Rekord-Preisen für Getreide waren Spekulanten schuld. Sollten spekulative Geschäfte mit Rohstoffen nicht grundsätzlich untersagt werden?
Bofinger: Das Problem dabei ist die Frage: Was ist spekulativ, was fällt in den Bereich legitimer Absicherung? Auch Staaten könnten aus strategischen Gründen spekulieren, zum Beispiel bei Niedrigpreisphasen viel Öl einlagern und bei gestiegenen Preisen wieder verkaufen. Denn warum sollten Staaten nicht dagegenhalten, wenn in einem Bereich offensichtlich spekuliert wird.
Die EU soll drei neue Aufsichtsbehörden und einen Weisenrat bekommen. Reichen diese Instrumente aus, um die Finanzaufsicht entscheidend zu verbessern?
Bofinger: Mein Wunsch wäre eine einheitliche Finanzaufsicht gewesen. Wir haben schließlich einen gemeinsamen Binnenmarkt, also brauchen wir eine Finanzaufsicht aus einem Guss und nicht eine Finanzaufsicht, die bei wichtigen Fragen nach wie vor an jeder Landesgrenze endet.
Eine zentrale Finanzaufsicht scheiterte aber am Widerstand der Briten...
Bofinger: Dann hätte man die Finanzaufsicht eben nur im Euro-Raum gemacht -- ohne die Briten.
Die britische Regierung hat zur Rettung der Banken eine Billion Euro locker gemacht, Nun wollen sie die Zügel anziehen: Beschlossen ist eine Sondersteuer auf Banker-Boni, geplant sind höhere Einkommenssteuern sowie die Erhöhung der Erbschafts- und Kapitalertragssteuern. Wäre das auch ein Modell für Deutschland?
Bofinger: Die Finanzierungsprobleme in Großbritannien sind mit einem Defizit von mehr als zehn Prozent wesentlich größer als in Deutschland. Aber grundsätzlich muss man sich in auch Deutschland überlegen, wie man auch mittelfristig die Staatseinnahmen stabilisiert. In Großbritannien oder den USA ist die Vermögensbesteuerung deutlich stärker ausgeprägt als bei uns. Wenn man es für zumutbar hält, dass Arbeitnehmer in Deutschland stärker belastet werden als in allen anderen OECD-Ländern, sollte man sich auch Gedanken darüber machen, ob man nicht auch vermögenderen Bürgern eine höhere Beteiligung an der Finanzierung des Gemeinwesens zumuten sollte.
Das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat ausgerechnet, dass Deutschland 25 Milliarden Euro mehr einnehmen würde, wenn es die Vermögensbesteuerung auf das Durchschnittsniveau der EU-Länder anhebt.
Bofinger: Das Problem bei den Vermögenssteuern ist die Grundsteuer. Die ist in anderen Ländern meist deutlich höher als in Deutschland. Hier landet die Grundsteuer aber auch bei den Mietern. Man muss also aufpassen. Generell denke ich aber, dass man sich schnell Gedanken über eine gerechtere Besteuerung machen muss.
Was passiert, wenn Karlsruhe den Solidaritätszuschlag kippt?
Bofinger: Der Solidaritätszuschlag ist ohnehin nichts anderes als eine verkappte Art von Einkommenssteuer. Kippt der Soli, würde er schnell auf die reguläre Einkommenssteuer aufgeschlagen werden.
Was hätten Sie sich statt des Steuerpakets als Sofortmaßnahme von der Bundesregierung gewünscht?
Bofinger: Ich hätte mir gewünscht, dass man die Ab"geltungssteuer auf Zinseinnahmen abschafft, weil sie den Staat nur Geld kostet und dazu führt, dass Geld gebunkert wird. Ich hätte mir gewünscht, dass man mehr Anreize im Immobilienbereich schafft -- etwa eine Eigenheimzulage. Dies würde den Bausektor stärken. Vor allem aber hätte ich mir gewünscht, dass man Geld in ein konsequentes Bildungsprogramm investiert. Schließlich wollen wir in den kommenden Jahrzehnten Wachstum haben. Wachstum fällt nicht vom Himmel, sondern entsteht, wenn man klüger und intelligenter wirtschaftet. Dazu braucht man möglichst viele kluge und intelligente Menschen. Anstelle der Bundesregierung würde ich alle Spielräume nutzen, um möglichst viel in die Bildung zu investieren. Das Interview führte Werner Kolbe
Originaltext: Landeszeitung Lüneburg Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2
Pressekontakt: Landeszeitung Lüneburg Werner Kolbe Telefon: +49 (04131) 740-282 werner.kolbe@landeszeitung.de
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