Mindener Tageblatt: Kommentar zu Hartz-IV-Debatte / Sozialstaat im Finanz-Dilemma
Geschrieben am 19-02-2010 |
Minden (ots) - Von Christoph Pepper Dass Guido Westerwelle sich in der Hartz-IV-Debatte maßlos im Ton vergriffen hat, ist - außer bei seiner aktuell gerade etwas schrumpfenden Anhängerschar - unstreitig. Dem FDP-Chef ging es augenscheinlich in erster Linie um anderes als eine seriöse Sachauseinandersetzung. Nicht minder misstrauisch macht allerdings der hohe, oft schrille moralische Ton, mit dem seine Kritiker unisono auf ihn einprügeln. Könnte es sein, dass hinter all dem Abscheu, all der Häme, die kübelweise über dem angeblich brutalliberalen Provokateur ausgegossen werden, sich ein wenig von der Ahnung verbirgt, dass hier möglicherweise auch richtige Fragen gestellt wurden, statt nur blindwütig auf das Prekariat einzuprügeln? Interessanterweise sieht sich in der Schlacht um die Deutungshoheit über das Hartz-IV-Urteil des Verfassungsgerichts vor allem jenes Lager bestätigt, dem schlicht die Sätze zu niedrig sind und das diesem Übel einfach mit höheren Sozialleistungen abhelfen will. Über das Thema Missbrauch, erst recht über grundsätzlichere Fragen möchte man dagegen lieber nicht reden. Dabei wäre eine Diskussion darüber aller Ehren wert, warum das System Hartz IV nach anfänglichen Erfolgen heute weniger denn je in der Lage ist, sein ursprüngliches Ziel zu erreichen: Langzeitarbeitslose in Lohn und Brot zu bringen. Soeben erst hat die OECD Deutschland die geringe Effizienz seiner entsprechenden Anstrengungen bescheinigt, für die es gewaltige Mengen Geld ausgibt. Kann der sozialen Gerechtigkeit - was immer genau das ist - tatsächlich nur damit gedient werden, den jetzt schon mit Abstand größten Teil des Bundeshaushalts noch weiter aufzustocken? Und wer soll das bezahlen? Die akute Hartz-IV-Debatte macht am zweifellos geeigneten Subjekt das grundsätzliche Dilemma jenes Sozialstaats deutlich, in dem das Wünschbare in Ansprüche umgemünzt wird, die moralisch statt politisch verhandelt werden. Die Finanzierungsfrage wird da zwangsläufig nachrangig. Doch sie ist zentral - auch für jene, die die Finanzierung stemmen müssen. Auf der anderen Seite der Transferleistungsgesellschaft - die mittlerweile auf eine Hälfte-Hälfte-Teilung zusteuert - stehen die Leistungserbringer. Dass Guido Westerwelle bei dem Versuch, nicht ganz uneigennützigerweise für diese eine Lanze zu brechen, in die dabei abgesplitterte Spitze seiner rhetorischen Waffe gestürzt ist, muss nur ihn und sein liberales Häuflein bekümmern. Allerdings täte auch der Rest der Gesellschaft gut daran, sich über die hier aufgeworfenen Fragen grundsätzlich Gedanken zu machen. Ohne Ressentiments, ohne Schaum vor dem Mund. Aber auch ohne falsches Sozialpathos. Und vor allem ehrlich, mit offenen Karten bezüglich der bei jeder zusätzlichen Leistung unvermeidlichen Umverteilung zu Lasten Dritter. Denn mehr Ausgaben - und das betrifft nicht nur Hartz IV - für welche wünschbaren Zwecke auch immer sind nur auf drei Wegen darstellbar: Erstens die Umsteuerung vorhandener Mittel, die dann anderswo fehlen - den Kommunen zum Beispiel. Zweitens die Erhebung zusätzlicher Steuern. Oder drittens die Aufnahme immer noch weiterer Schulden auf Kosten der Kinder und Enkel.
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