Westdeutsche Zeitung: Margot Käßmanns Rücktritt = Von Christoph Lumme
Geschrieben am 24-02-2010 |
Düsseldorf (ots) - Für die evangelische Kirche ist der Rücktritt mehr als ein herber Verlust: Margot Käßmann hatte in den wenigen Monaten als EKD-Ratsvorsitzende das Gesicht ihrer Kirche geprägt, sie wird schwer zu ersetzen sein. Kaßmann stand für das Authentische, Geradlinige und Mutige. Sie entwickelte sich zum moralischen Gewissen der Nation, ohne dabei moralinsauer zu wirken; gerade weil sie ihre eigene Fehlbarkeit, ihre persönlichen Dramen - die Scheidung, das Krebsleiden - immer wieder öffentlich machte. Nun ist es diese von ihr bewusst betriebene Verknüpfung von Amt und Leben, die ihr keine Spielräume lässt: Margot Käßmann ist von ihren Ämtern zurückgetreten, weil ihr klar war, dass sie der Fehltritt jegliche Autorität gekostet hätte. Man mag noch so sehr darauf verweisen, dass täglich 250 deutsche Alkoholfahrer ihren Führerschein abgeben müssen. Dass diejenigen, die in öffentlichen Ämtern unter Dauerstress stehen, nun einmal besonders anfällig sind für solche Fehltritte. Dass auch eine Bischöfin keine Heilige ist, sondern ein Mensch. Und dass die Kirche eine Verkündigungs- und keine Moralanstalt sein soll. Aber wenn Käßmann mit 1,5 Promille Auto fährt, begeht sie kein Kavaliersdelikt oder verletzt lediglich ein gesellschaftliches Tabu: Nein, sie gefährdet Leben; das eigene und das anderer Menschen. Käßmann hat in ihrer Erklärung selbst den Kern des nicht lösbaren Gewissenskonflikts genannt. Durch die Trunkenheitsfahrt ist ihr die Freiheit abhandengekommen, mit Überzeugungskraft ethische und politische Standpunkte zu formulieren, wie sie es zum Beispiel in der Afghanistan-Debatte tat. Dennoch: Mit ihrem Rücktritt bleibt Käßmann selbst im Moment ihres Scheiterns als öffentliche Person menschliches Vorbild - weil wir wissen, dass diese Wahrhaftigkeit in einer männlich dominierten Welt der Entscheidungsträger die Ausnahme bleibt. Während sich untragbar gewordene Politiker oft an Macht und Ämter klammern, bis sie von Dritten zur Aufgabe genötigt werden, verließ Käßmann sich allein auf ihr Gewissen. Der Rücktritt kostet sie zwar ihre öffentlichen Rollen, aber ihr wertvollstes Gut hat sie sich bewahrt: ihre Glaubwürdigkeit.
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