Neue Westfälische: Neue Westfälische (Bielefeld): Missbrauchsvorwürfe weiten sich aus Traumatisches Erbe NICOLE HILLE-PRIEBE
Geschrieben am 08-03-2010 |
Bielefeld (ots) - Sexueller Missbrauch verjährt nie. Die Opfer sind ihr Leben lang gezeichnet, und kein Arzt oder Psychologe kann ihre körperlichen und seelischen Wunden heilen. Manchmal reicht ein Geruch, manchmal ist es ein Musikstück oder eine bestimmte Farbe, und die Erinnerungen, die die Betroffenen tief in ihrer verletzten Seele abgespalten haben, kommen hoch. Sie wieder zu verstecken erfordert eine Menge Kraft. Wie groß diese Anstrengung ist und wie sehr die Psyche leidet, kann niemand nachvollziehen, der vor dieser Erfahrung bewahrt wurde. Die Opfer aber werden täglich mehr und die Taten immer jünger. Nicht zum ersten Mal wurde eine ganze Generation dem kollektiven Schweigen geopfert. In einer Zeit oder Gesellschaft, die die Täter schützt und den Opfern die Schuld gibt, wird Verdrängung für die Betroffenen überlebenswichtig. Um nicht an der Scham zu ersticken, schweigen, belügen und bestrafen sie sich selbst - und ihre Nachkommen. Die Traumata bleiben nicht in der Opfergeneration isoliert, sondern werden vererbt: in Form von Ängsten, Tabus, Verboten, Kontrollen und Zwang. Massenhaften sexuellen Missbrauch ganzer Generationen kannten wir bislang nur als grausamen Begleiter von Kriegen: die deutschen Mädchen und Frauen, die im Zweiten Weltkrieg von Besatzungssoldaten vergewaltigt wurden; die Generation der Heimkinder, die in den 1960er Jahren gequält und von ihren Erziehern häufig auch vergewaltigt wurden; die traumatisierten Flüchtlingsfrauen aus Bosnien, die Mitte der 1990er Jahre nach Deutschland kamen. Trotzdem begreifen wir sexuellen Missbrauch noch immer als eine Summe von Einzelfällen. Das wird den Opfern angesichts des unfassbaren Ausmaßes nicht gerecht. Was in Deutschland passiert ist und noch immer passiert, ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und muss auch so behandelt werden.
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