Berliner Morgenpost: Beraten sollen sie - entscheiden aber nicht - Kommentar
Geschrieben am 23-04-2010 |
Berlin (ots) - Der erste Runde Tisch war tatsächlich rund, hatte einen Durchmesser von neun Metern, bot 57 Personen Platz und stand in Polen. An ihm wurde Geschichte geschrieben. Anfang 1989 saßen dort die noch regierenden Kommunisten, die oppositionellen Gewerkschaftsvertreter der Solidarnosc, katholische Kirchenfürsten und Vertreter anderer Organisationen, um den Weg vom sozialistischen Staat in eine demokratische Republik zu ebnen. Bei aller anfänglichen Feindschaft und langsam wachsendem gegenseitigen Verständnis wurde die Krisenrunde zum entscheidenden Geburtshelfer für ein freies, unabhängiges Polen. Die DDR der Wendezeit hat sich das Erfolgsmodell zum Vorbild genommen. Vor allem unter der Vermittlung der Kirche ist es den Bürgerrechtsorganisationen und der untergehende Staatsmacht an zahlreichen Runden Tischen gelungen, den Umbruch im Osten Deutschlands bis zur ersten freien Wahl im März 1990 friedlich zu gestalten. Die Runden Tische in der DDR waren übrigens meist rechteckig. Trotzdem ist der Begriff vom Runden Tisch quasi als Erbstück ins wiedervereinigte Deutschland übernommen worden. Aus gutem Grund. Gestern hatte die Bundesregierung gleich zu zwei Runden Tischen nach Berlin geladen. Der eine war eine Premiere und wird nach Konsequenzen aus den Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs suchen. Der andere, auch als Integrationsgipfel bekannt, soll das bessere gegenseitige Verständnis und Zusammenleben zwischen den unterschiedlichen Religionen in Deutschland befördern. Auch wenn der Begriff vom Runden Tisch mittlerweile schon fast inflationär gebraucht wird, hat er an Bedeutung und Wichtigkeit zumindest auf Bundesebene nichts eingebüßt. Dem Kerngedanken nach sitzen Vertreter unterschiedlicher Gruppierungen mit meist sehr unterschiedlichen, wenn nicht gar gegensätzlichen Vorstellungen und Erwartungen zusammen, um nach einem Kompromiss zu suchen. Der entscheidende Unterschied zu anderen Expertenrunden, Anhörungen oder Kommissionen liegt darin, dass die Teilnehmer sich als gleichberechtigte Partner, also auf Augenhöhe, wie es neudeutsch erwartet wird, gegenüber oder nebeneinander sitzen. Eigentlich eine urdemokratische Institution. In der modernen Massendemokratie, zudem einer repräsentativen Demokratie, in der die Parlamente die wichtigen politischen Entscheidungen fällen, stößt sie allerdings an Grenzen. Deshalb obliegt es den Runden Tischen, unter Einbindung der jeweils Betroffenen, Vorschläge für Problemlösungen zu machen und damit für möglichst alle akzeptable Kompromisse und Selbstverpflichtungen zu erarbeiten. Runde Tische ersetzen aber nicht den Gesetzgeber. Ein Gesetz zu beschließen aufgrund der Empfehlung einer Tisch- Runde ist in unserem politischen System allein Sache des Parlaments. Das ist gut so. Nur dann bleiben das gesamtstaatliche Interesse gewahrt und die Verantwortlichkeit klar. Das letzte Wort der Politik bewahrt Runde Tische zugleich davor, als Quassel-Runden ergebnislos zu enden.
Originaltext: Berliner Morgenpost Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2
Pressekontakt: Berliner Morgenpost Telefon: 030/2591-73650 bmcvd@axelspringer.de
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
264413
weitere Artikel:
- Südwest Presse: KOMMENTAR zu ELEKTROAUTO, Ausgabe vom 24.04.2010 Ulm (ots) - Südwest Presse Ulm, KOMMENTAR zu ELEKTROAUTO, Ausgabe vom 24.04.2010 Bravo! Der erste Schritt ist geschafft: die Erkenntnis. Künftig werden alle Autos einen Elektroantrieb haben. Dies haben nun endlich alle verstanden. Da es nur eine Frage der Zeit ist, bis Autos ohne Auspuff herumfahren, müssen Unternehmen bei der Entwicklung Gas geben. Bislang hat die Automobilnation Deutschland tief geschlafen. Daran sind nicht nur die konservativen Hersteller schuld. Auch Verbänden, Politik und Verbrauchern fehlte oft der Glaube an mehr...
- WAZ: Kein teurer Aprilscherz. Kommentar von Dietmar Seher Essen (ots) - Wir reiben uns die Augen. Die Asche ist weder jetzt sichtbar noch war sie es vor einer Woche, als sie Europas Flugverkehr komplett lahmlegte, Milliardenschaden provozierte, Urlaubern den Urlaub versaute und Geschäftsreisenden die pünktliche Heimkehr. Sie war virtuell, sagt die Lufthansa. Allenfalls existent in fehlinterpretierenden Forscherlabors und letztlich nur auf dem Schreibtisch des Verkehrsministers. Und der, das will Lufthansa-Vorstand Karl-Ulrich Garnadt wohl unterschwellig klar machen, hat falsch entschieden, mehr...
- WAZ: Die Lage der Studenten - Hotel Mama. Kommentar von Christopher Onkelbach Essen (ots) - Die 19. Sozialerhebung zur Lage der Studierenden belegt erneut zahlenmächtig die soziale Schieflage des deutschen Bildungssystems. Die Hochschulen sind dabei aber nur das Ende der Fahnenstange, hier zeigen sich Fehlentwicklungen, die bereits viel früher beginnen. Um Änderungen zu bewirken, müsste man bereits im Vorschulbereich ansetzen. Und schon am Ende der Grundschule werden die Weichen für die spätere Bildungskarriere gestellt. Bislang erlangen auf diesem Weg zu wenige Kinder aus sozial schwächeren Schichten, vor allem mehr...
- WAZ: Ein Geleit zum FDP-Parteitag - Einsame Liberale. Leitartikel von Ulrich Reitz Essen (ots) - Wer zwei Wochen vor einer Wahl einen Parteitag veranstaltet, will seine Anhänger einschwören und den Rest der Welt überzeugen. An sich zweifeln will er nicht. Dazu aber hätte die FDP allen Anlass. In der nordrhein-westfälischen Union muss man jene, die an eine Wiederauflage von Schwarz-Gelb glauben, mit der Lupe suchen. Wobei die Stimmen verstummt sind, die die Schuld für die verdüsterte Perspektive nach Berlin schieben und auch dort bei den Liberalen abladen. Der Wahrnehmungswechsel der Union gründet sich auf eigene mehr...
- Westfalenpost: Ergebnisse zählen Hagen (ots) - Am runden Tisch darf nicht nur geredet werden Von Susanne Schlenga "Es ist unmöglich, alle Opfer an den Runden Tisch aufzunehmen, weil es einfach so viele gibt." Die Aussage von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) nach der ersten Sitzung des Gremiums, das sich mit dem Thema Missbrauch befassen will, ist symptomatisch: Missbrauch betrifft viele Einzelne, es ist aber ein Problem aller. Nun sollte die Initiative der Bundesregierung nicht schon zum Start kleingeredet werden. Auch wenn für jedes Opfer die Zeit, mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|