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WAZ: Die Finanznöte der Revierstädte - Essen kündigt den Nichtangriffspakt. Leitartikel von Stefan Schulte

Geschrieben am 29-04-2010

Essen (ots) - Die Griechen haben über ihre Verhältnisse gelebt.
Ja, ja, diese Griechen. Wir könnten ihnen ein Lied davon singen, hier
im Ruhrgebiet. Jeder Stadt ihr Konzerthaus, jedem Fußballklub seine
Arena. Das war selbstverständlich in der Kulturhauptstadt und
Fußball-Metropole. War. Denn so wie die Griechen ersticken auch die
Revierstädte an ihren Schulden und werden fremdregiert. Sie sind
nicht allein Schuld an dieser Misere, aber wer ist das schon?

Eingedenk der jahrzehntelangen Leucht- und Kirchturmpolitik in den
Ruhrgebiets-Rathäusern war es mehr als ungewöhnlich, dass Essens OB
Paß dem Traditionsklub Rot-Weiß Essen den Stadionbau vor die Füße
werfen wollte - zumindest für einen Tag. Es ist das erste echte
Eingeständnis, dass die lobbygetriebene Lokalpolitik alten Schlages
nicht mehr funktioniert. Nicht, wenn Sportlern in städtischen Hallen
der Putz aufs Haupt rieselt. Die Not ist so groß, dass sogar der
uralte Nichtangriffspakt bröckelt. Der ging so: Die Sportler meckern
nicht über den Kulturetat, dafür üben sich Theatermanager in
Schweigen, wenn's ums neue Stadion geht. Denn beide trifft der
gleiche Vorwurf vieler Bürger: Wofür ein neues Konzerthaus oder
Stadion, wenn unsere Kindergärten und Schwimmbäder vergammeln oder
gleich dicht gemacht werden? Sie haben den Blick fürs große Ganze,
den die Politik verweigert.

Das Standardargument, das eine habe nichts mit dem andern zu tun,
es handele sich schließlich um ganz verschiedene Töpfe, hat anno 2010
ausgedient. Es hat verdammt lang gedauert. Natürlich hat jeder
Einzeletat mit der einen, großen Finanzmisere zu tun. Was die Städte
jahrzehntelang verdrängt haben, übernimmt nun der
Regierungspräsident, zum Beispiel indem er Bochum das neue
Konzerthaus streicht.

Dabei ging es nie nur um Leuchttürme. Die Abwehrkämpfe fanden
überall statt. So sehr sich die Parteien in den Ausschüssen oder in
den Stadtteilparlamenten das Jahr über stritten: Jeden Advent
überfiel sie eine seltene Einigkeit, nur ja noch den letzten Euro aus
ihrem Etat auszugeben, damit es nächstes Jahr nicht weniger gibt. So
mancher Straßenbuckel wurde im Dezember ersonnen. Die Folge: Heute
haben alle weniger und in der Tat nichts mehr zu verteilen.

All dies ist freilich nur die halbe Wahrheit. Noch jeder
Bundesfinanzminister hat stabilere Kommunalfinanzen versprochen und
den Städten am Ende doch nur neue Kosten aufgebürdet. Doch sich
dahinter zu verstecken, ist zu wenig. Man darf das Stadion nicht
gegen das Schwimmbad und den Jugendtreff ausspielen? Und ob man darf.

Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55903
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55903.rss2

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de


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