(Registrieren)

Börsen-Zeitung: Am Rande des Abgrunds, Börsenkommentar "Marktplatz" von Dieter Kuckelkorn

Geschrieben am 07-05-2010

Frankfurt (ots) - So etwas hat es in der langen Geschichte des Dow
Jones noch nicht gegeben: Der Index rutschte binnen weniger Minuten
um 998,5 Punkte bzw. rund 9% ab, er verzeichnete seinen bisher
stärksten in Punkten gerechneten Intraday-Verlust. Rund 1 Billion
Dollar an Marktkapitalisierung wurden zumindest zeitweise
ausgelöscht. Einen Tag nach dem denkwürdigen Ereignis tappen
Börsenbetreiber und Aufsichtsbehörden noch im Dunklen, wie es zu dem
Desaster gekommen ist.

Man darf gespannt sein, was das US-Finanzministerium und die
amerikanische Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC)
in den mittlerweile angelaufenen Untersuchungen als Auslöser
identifizieren. Letztlich ist es aber von nur geringer Relevanz. Viel
interessanter ist die Frage, warum eine fehlerhafte Transaktion eines
Händlers oder vielleicht auch ein Manipulationsversuch den gesamten
Börsenhandel in den USA in die Knie zwingen konnte, ohne dass die
Börsenbetreiber und die Marktaufsicht in der Lage waren, etwas
dagegen zu unternehmen. Die Ursachen dafür lassen sich bereits jetzt
einigermaßen klar identifizieren.

Eine wichtige Rolle spielen dabei die unzureichenden und wenig
zweckmäßig konstruierten Circuit Breaker der New York Stock Exchange
(Nyse), die immer noch der wichtigste Handelsplatz für amerikanische
Blue Chips ist. Unter Circuit Breakers versteht man Sicherungen, die
den Börsenhandel bei extremen Kursverlusten unterbrechen oder stark
verlangsamen.

Der wichtigste Circuit Breaker ist jedenfalls trotz der
chaotischen Zustände am Donnerstag noch gar nicht ausgelöst worden.
Er greift erst, wenn der Dow Jones an einem Handelstag um 10% unter
den Durchschnittspreis des Vormonats fällt. Eine Handelsunterbrechung
erfolgt aktuell erst bei einem Verlust des Dow Jones von 1050
Punkten, damit also sehr spät. Bis November 2007 gab es eine weitere,
sehr effektive Sicherung: Es wurde der gesamte computergestützte
Handel, der damals rund 50% des gesamten Volumens an der Nyse
ausmachte, unterbrochen, sobald der Dow um 2% unter den Vortagsstand
fiel. Dieser Mechanismus wurde recht häufig ausgelöst, er war daher
vielen Banken, die sich im computergestützten algorithmischen Handel
engagieren, ein Dorn im Auge.

Stattdessen gibt es nun sogenannte Liquidity Replenishment Points
(LRP): Ab bestimmten Kursniveaus, die von der Nyse nicht
veröffentlicht werden, unterbricht der Börsenbetreiber die
automatische Ausführung von Orders und verlangt, dass Börsenhändler
jede Transaktion bestätigen. Die Sache hat jedoch einen Haken:
Gleichzeitig verliert in diesem Fall die SEC-Vorschrift "Regulation
NMS" zeitweilig ihre Gültigkeit, gemäß der Broker sicherstellen
müssen, dass sie für ihre Kunden immer den besten Preis realisieren.
Damit können Order zu anderen Handelsplattformen umgeleitet werden,
womit die LRP effektiv unterlaufen werden können. Wieder einmal hat
also eine Deregulierung, die auf Druck der Finanzbranche erfolgte,
schwerwiegende negative Folgen gezeigt.

Was auch immer der Auslöser war, der Absturz des Dow ist durch
High Frequency Trading (HFT) potenziert worden, also den
computergesteuerten Handel, der mit extremer Geschwindigkeit ohne
menschlichen Eingriff erfolgt. Dieser algorithmische Handel macht am
US-Aktienmarkt bereits bis zu 75% des Volumens aus, in Europa sind es
Schätzungen zufolge bis zu 60%. Problematisch ist dabei, dass die
Börsenbetreiber - darunter auch die Deutsche Börse-einen
unkontrollierten direkten Zugang zum Markt gewähren, ohne dass Banken
oder Börsenhändler eingreifen können. Bisher ist HFT vor allem unter
dem Gesichtspunkt ungerechtfertigter Gewinne auf Kosten anderer
Marktteilnehmer kritisiert worden. Nun ist klar geworden, dass es
auch sehr reale und gravierende systemische Risiken gibt -
insbesondere in Zeiten wie diesen, in denen die Nerven der
Marktteilnehmer blank liegen.

Eine fast grenzenlose Deregulierung und die Veränderungen der
Börseninfrastruktur zugunsten von HFT haben die Märkte an den Rand
des Abgrunds gebracht. Wenn nicht schleunigst die regulatorische
Trendwende eingeleitet wird, sind wir schon bald einen entscheidenden
Schritt weiter.

(Börsen-Zeitung, 8.5.2010)

Originaltext: Börsen-Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/30377
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_30377.rss2

Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

267383

weitere Artikel:
  • WAZ: Aktienmärkte in Panik. Kommentar von Christopher Shepherd Essen (ots) - Es ist kaum zu glauben: Möglicherweise hat der Tippfehler eines Aktienhändlers den Spontan-Börsencrash an der Wall Street ausgelöst. Und tatsächlich ist dies auch kaum zu glauben: Nur weil jemand bei einem Aktiengeschäft Millionen mit Milliarden verwechselt hat, dürften die Börsen nicht so abschmieren wie jetzt. Jedoch hat sich vieles an den Märkten zusammengebraut. Vor allem die Finanzkrise um Griechenland und die Sorge um weitere Euro-Länder wie Spanien hat die Anleger hypernervös gemacht. Die Angst vor ähnlichen Schockwellen mehr...

  • WAZ: Das Warenhaus lebt doch noch. Kommentar von Frank Meßing Essen (ots) - An Kaufhof sind fünf Investoren interessiert, bei Woolworth waren es vier. Für Karstadt heben immerhin zwei Kandidaten den Finger. So unterschiedlich die Unternehmen und Ausgangslagen auch sein mögen: Deutsche Warenhäuser scheinen international begehrt zu sein. Zumindest aus Investoren-Sicht hat sich das Konzept offenbar noch nicht überlebt, während allerorten der Abgesang auf die Warenhäuser angestimmt wird. Das ist eine gute Nachricht - für die 4500 Woolworth-Beschäftigten, deren Arbeitsplätze zumindest für ein Jahr mehr...

  • Kölner Stadt-Anzeiger: Sperrfrist 23.30 Uhr, Freitag, 7.Mai 2010 Historiker Fritz Stern kritisiert Europäer für Umgang mit Griechenland-Krise "Es fehlt an politischem Willen, diese Krise zu bewältig Köln (ots) - Der deutsch-amerikanische Historiker Fritz Stern wirft den europäischen Staaten einen mangelnden politischen Willen im Umgang mit der Griechenland-Krise vor. "In Amerika hat man stark den Eindruck, dass angesichts der momentanen Krise in Griechenland an politischem Willen in Europa fehlt, diese Krise zu bewältigen", sagte der Friedenspreisträger des Jahres 1999 in einem Interview dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstag-Ausgabe). Was Europa fehle, sei ein Mann mit "solcher Durchsetzungskraft und dem Glauben an Europa, politischem mehr...

  • ARCADIS kann höhere Umsätze und Gewinne verzeichnen Arcadis Nv, May 7, 2010 (ots/PRNewswire) - ARCADIS , ARCADIS, das internationale Unternehmen für Beratungsdienstleistungen, Design, technische Planung und Managementleistungen, erzielte im ersten Quartal 2010 gute Ergebnisse. Der Bruttoumsatz stieg um 7% auf 448 Millionen EUR, was durch den Merger mit Malcolm Pirnie unterstützt wurde. Das Nettoeinkommen des Betriebs erhöhte sich trotz des negativen Währungseffekts von 2% um 10% auf 17,1 Millionen EUR. Der organische Umsatzrückgang war im Vergleich zum vierten Quartal 2009 stabil. In der Infrastruktur mehr...

  • Schauspieler Patrick Dempsey gibt bekannt, dass das Instituto Avon eine digitale Mammographie-Einheit an die gynäkologische Abteilung der UNIFESP gespendet hat Sao Paulo, May 7, 2010 (ots/PRNewswire) - Während seines jüngsten Besuchs in Brasilien anlässlich der Markteinführung seines zweiten Parfüms Patrick Dempsey 2, das exklusiv für Avon entworfen wurde, nahm sich der amerikanische Schauspieler Patrick Dempsey trotz eines vollen Terminkalenders die Zeit, um gemeinsam mit Luis Felipe Miranda, dem Präsidenten von Avon Brasilien, die Spende einer digitalen Mammographie-Einheit an die gynäkologische Abteilung der Bundesuniversität Sao Paulo (UNIFESP) bekannt zu geben. Zusammen mit Dempsey und Miranda mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Wirtschaftsnews

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

DBV löst Berechtigungsscheine von knapp 344 Mio. EUR ein

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht