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Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Filmfestival in Cannes:

Geschrieben am 14-05-2010

Bielefeld (ots) - Es gibt zwei Filmfestivals in Cannes. Eines für
die Freaks, ein zweites für dich und mich. Du und ich, wir freuen uns
darauf, dass Woody Allen an der Côte d'Azur Schabernack treibt, und
wir überprüfen, ob Michael Douglas die Verurteilung seines mit Drogen
handelnden Sohns verwunden hat. Und wer sieht besser aus unter
Palmen: Naomi Watts oder Diane Kruger? An Stars herrscht kein Mangel
in Cannes. Nur ihre Filme, die laufen eben nicht im Wettbewerb, die
laufen außer Konkurrenz. Der Wettbewerb ist für die Freaks. Ein
Hausmädchen verstrickt sich in der Villa einer Upper-Class-Familie in
erotische Bande: ein Beitrag aus Südkorea. Männer schreien in einem
malträtierten Land: ein Film aus dem Tschad. Schauen wir lieber nach
Ungarn, das liegt uns zumindest geographisch näher: Wir sehen einen
17-Jährigen, der aus dem Heim entweicht, aber seine Mutter will ihn
nicht - »Tender Son« greift angeblich die Leidensgeschichte von
Frankensteins ungeliebt in der Nacht verschwindendem Monster auf. Der
Engländer Ken Loach entdeckt die Problematik des Kriegs im Irak, und
der Franzose Bertrand Tavernier steckt eine schöne Adlige in schöne
Kleider und verschwindet mit ihr im Jahr 1562. Großes Kino? Na ja.
Der Rest ist Schwermütiges, kaum Verdauliches, arg Verkopftes aus
Mexiko, China, aus der Ukraine und dem Iran. Der Freak sitzt im
Kinosessel und schreibt eifrig mit. Für sein Referat mit Diavortrag
im Multikulti-Verein. Volker Schlöndorff, dem wir eindrucksvolle
Bilder zur »Blechtrommel« verdanken (lang, lang ist's her . . .) hat
Cannes als »Abschussrampe« für US-Filme gegeißelt. Cannes sei zum
»riesigen Marketing-Unternehmen« verkommen. Das wirkt zunächst ein
wenig ungerecht, denn es ist ja nur ein einziger Hollywood-Beitrag im
Rennen: »Fair Game«. Worum es geht? Um den Irakkrieg. Zum Gähnen.
Aber da sind ja noch die eingangs erwähnten Stars aus Amerika. Die
nutzen tatsächlich den Ruf, den sich Cannes in jenen fernen von der
Sonne des Erfolgs beschienenen Jahrzehnten westeuropäischer
Filmkultur erworben hat: Sie drücken sich um das unwägbare Urteil
einer schwer einzuschätzenden Jury herum und machen Party mit »Robin
Hood«, mit Komödie und sonstigem Mainstream. Das ist feige, aber der
Lauf der Filmwelt. Zum Schluss blicken wir noch einmal zurück auf die
Berlinale. Warum leiden sie dort eigentlich unter
Minderwertigkeitskomplexen? Dafür gibt es keinen Grund. Jeder will
nach Berlin, nach Cannes wollen, nein: müssen die Stars. Berlin hatte
2008 die »Rolling Stones« zu Gast. Und was macht Cannes? Es lädt
Jagger & Co. ein! Nur die Freaks am Strand reden über Filme, statt
dessen laufen alle Handys heiß: Weißt du, ob die »Stones« vor dem
Filmpalast ein Konzert geben?

Originaltext: Westfalen-Blatt
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/66306
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_66306.rss2

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261


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