Börsen-Zeitung: Schwindelig vor Schwung, Kommentar von Reinhard Kuls zum deutschen Auftragseingang
Geschrieben am 07-06-2010 |
Frankfurt (ots) - Die deutsche Industrie kommt rasant in Schwung,
so rasant, dass einem schier schwindlig werden könnte. Der
Auftragseingang weist inzwischen monatliche Zuwachsraten auf, die in
anderen Bereichen für ein ganzes Jahr ausreichen müssen: plus 2,8% im
April, nach plus 5,1% im März.
Zudem sind die Bestellzahlen in diesen beiden Monaten nur in
geringem Umfang von Großaufträgen verzerrt, die zwar die Orderzahlen
schön aussehen lassen, aber erst so ganz allmählich ihren
Niederschlag in der tatsächlichen Produktion finden. Für die deutsche
Industrie und die deutsche Volkswirtschaft zeichnen sich also, sollte
es nicht wieder zu schockartigen, das gesamte Wirtschaftssystem
gefährdenden Ereignissen à la Finanzkrise oder Lehman-Pleite kommen,
Monate kräftigen Wachstums ab.
Die hiesige Industrie hat sich inzwischen beim Auftragseingang vom
Lehman-Schock fast erholt. Der Orderindex aus Auslands- und
Inlandsbestellungen liegt wieder nahezu so hoch wie im September
2008, als der überraschende Kollaps der US-Investmentbank die
Weltwirtschaft noch viel tiefer in den Abgrund der Rezession riss,
den das Platzen der US-Immobilienblase aufgetan hatte.
Vom jüngsten Schuldenschock in der Eurozone zeigt sich die
deutsche Industriekonjunktur bislang unbelastet. Der gegen den
allgemeinen Trend laufende Rückgang der Neuorders aus den
Euro-Partnerländern im April ist nicht aussagekräftig. Er folgt einem
zehnmal so großen Zuwachs im März. Diese Datenreihe ist sehr
sprunghaft. Das fast auf die Nachkommastelle identische Bild zeigte
sich auch im Januar und Februar. Unterm Strich ergibt sich seit
Jahresbeginn ein fast doppelt so hohes Plus wie im Exportgeschäft mit
den Staaten außerhalb der Währungsunion.
Droht nun aber der deutschen Industrie ein Einbruch, weil viele
Länder drastische Sparmaßnahmen ergreifen, so wie sie als
unmittelbare Reaktion auf die Finanzkrise milliardenschwere
Konjunkturpakete geschnürt hatten? Mittelfristig werden wohl
Bremseffekte auftreten, aber sie sollten sich in Grenzen halten. Denn
zum einen wird die deutsche Binnenkonjunktur zusehends robuster. Zum
anderen floriert eine Reihe von deutschen Absatzmärkten inzwischen
auch ohne Staatshilfen wieder. Da wirkt die aus der europäischen
Schuldenkrise resultierende Euro-Schwäche geradezu wie ein zweites
Konjunkturprogramm.
(Börsen-Zeitung, 8.6.2010)
Originaltext: Börsen-Zeitung
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