Deutschland braucht künftig noch viel mehr Steinkohle / Schlussfolgerungen aus dem neuen EWI/Prognos-Ölpreisszenario
Geschrieben am 29-08-2006 |
Essen (ots) - Deutschland braucht für eine gesicherte Stromerzeugung im Jahr 2030 rund 90 Mio. t Steinkohle - fast 30 Mio. t oder ein Drittel mehr als der gegenwärtige jährliche Gesamtverbrauch von 63 Mio. t. Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus den Aussagen der jüngsten Energieprognose des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln (EWI) und der Prognos AG in Basel. Im Auftrag des Bundeswirtschaftministeriums (BMWi) haben die beiden renommierten Forschungseinrichtungen ihre im Jahr 2005 erstellte Referenzprognose um eine wesentliche Variante ergänzt. Darin werden die Auswirkungen dauerhaft höherer Ölpreise auf die Energiemärkte analysiert. Eine der zentralen Aussagen der aktuellen Prognose: Bei der Stromerzeugung wird der Anteil der Steinkohle bis zum Jahr 2030 von rd. 22 auf 31 % steigen. Daraus lässt sich der enorme Anstieg der künftig benötigten Steinkohlenmengen ableiten. Die Frage ist allerdings, ob Deutschland beim enger werdenden Steinkohlenweltmarktangebot die erforderlichen Mengen dann überhaupt zur Verfügung stehen werden.
Gegenwärtig werden pro Jahr in Deutschland rund 63 Mio. t Steinkohle vor allem in der Strom- und Stahlerzeugung verbraucht. Etwa 38 Mio. t werden davon importiert, rund 25 Mio. t stammen noch aus heimischer Förderung - Tendenz sinkend. Dem bereits länger anhaltenden Trend stetig steigender Rohstoffpreise folgend wurde auch Importkohle immer teurer. Seit 2003 geht der Trend steil nach oben. Die Importpreise für Kesselkohle (für die Stromerzeugung) liegen derzeit bei über 70 US-$/t, für Kokskohle (für die Stahlerzeugung) bei 120-140 $/t. Die Rechnung für die importierten Steinkohlenmengen liegt bereits jetzt mit mehr als 3 Mrd. Euro pro Jahr deutlich höher als der weiter sinkende Beihilfebedarf der heimischen Steinkohle, der 2006 bei 2,5 Mrd. Euro liegt.
In ihrer "energiewirtschaftlichen Referenzprognose", dem Energiereport IV im Auftrag des BMWi, haben die beiden Institute im Mai 2005 noch eine ganz andere Prognose des Steinkohleanteils bei der deutschen Stromerzeugung im Jahr 2030 gegeben: Sie kamen zu dem - vom GVSt in Frage gestellten (vgl. FAA 12 vom Juni 2005 "Bedeutungsverlust für die Steinkohle?") - Schluss, dass der Steinkohlenanteil in der Stromerzeugung von 25 % im Jahr 2000 auf nur noch 8,5 % im Jahr 2030 zurückgehen werde. Die nun vorgelegte ganz andere Einschätzung ist bewusst vor dem Hintergrund der unverändert dynamischen Preis- und Nachfrageentwicklung an den Rohstoffmärkten vorgenommen worden. (EWI/Prognos: Auswirkungen höherer Ölpreise auf Energieangebot und -nachfrage. Ölpreisvariante der Energiewirtschaftlichen Referenzprognose 2030.)
EWI und Prognos erläutern den aktuellen Ansatz ihrer Variantenrechnungen so: "Der Preis für Rohöl ist jüngst stark angestiegen. Mit zeitweise über 70 $/b (Dollar pro Barrel; ein Barrel=159 Liter) liegt er derzeit erheblich über den Preisen, die im Rahmen der langfristig angelegten energiewirtschaftlichen Referenzprognose (EWI/Prognos 2005) trendmäßig antizipiert werden. Vor diesem Hintergrund untersucht die vorliegende Studie die Auswirkungen höherer Ölpreise auf Energieangebot und -nachfrage.... Die vorliegende Studie untersucht die Auswirkungen eines Preispfades für Rohöl, der mit real 60 $/b oder rund 100 $/b nominal im Jahr 2030 um 60 % über den Preisen der Referenzprognose liegt."
Wesentliche Ergebnisse der Variantenrechnungen auf dieser Basis fassen die Autoren u.a. so zusammen:
- Die Verbrauchsstrukturen verändern sich gegenüber der Referenzprognose deutlich. Die Bedeutung von Öl und Gas nimmt ab. Im Kraftwerkssektor wird vermehrt Kohle anstelle von Gas eingesetzt. Wörtlich heißt es: "Die Energieträgerstruktur verändert sich: Kohle und Regenerative gewinnen an Bedeutung, zulasten von Öl und Gas..... Fazit: Deutlich höhere Ölpreise als in der Referenzprognose führen zu strukturellen Verschiebungen innerhalb der Energiewirtschaft." Zu beachten ist dabei auch: Die CO2-Emissionen in Deutschland steigen dadurch nicht. Mutmaßlich höheren Emissionen des größeren Kohleeinsatzes in der Stromerzeugung stehen in nahezu gleichem Ausmaß Emissionsverringerungen des Mineralölverbrauchs im Verkehr (mehr Biokraftstoffe) und im Wärmemarkt (mehr Energieeinsparung) gegenüber.
- Zur Elektrizitätserzeugung heißt es: "Durch die - gegenüber der Referenzprognose - deutlich höheren Öl- und Gaspreise verliert das Gas in der Stromerzeugung zugunsten der Steinkohle."
- Zugleich wird aber in der neuen Rechnung auch darauf hingewiesen, dass die deutsche Importabhängigkeit bis 2030 von 62 % in 2005 auf 69 % in 2030 ansteigen wird.
- Bemerkenswert: Nicht nur bei der Stromerzeugung unterstellen EWI und Prognos bis 2030 einen deutlich höheren Steinkohlen-Einsatz. Gegenüber ihrer Schätzung (8,5 % Steinkohlenanteil in der Stromerzeugung 2030) im Energiereport IV vom Mai 2005 liegt die Differenz zur aktuellen Schätzung im August 2006 (31 % im Jahr 2030) bei immerhin 264 %. Auch beim Primärenergieverbrauch (PEV) ergibt die neue Berechnung für die Steinkohle (Anteil Steinkohle am PEV 2030: 17 %) eine Differenz von 143 % gegenüber der Rechnung im Energiereport IV (Anteil Steinkohle am PEV 2030: 7 %).
- Nach dieser Schätzung wäre die Steinkohle mit einem Anteil von 31% im Jahr 2030 bei der Stromerzeugung allein die Nummer 1 vor der Braunkohle (29 %), den regenerativen Energien (zusammen 26 %) und dem Erdgas (10 %).
- Für die Steinkohlen-Weltmarktpreise wird ein Anstieg bis 2030 um moderate rund 10 % angenommen. Nach der aktuellen Prognose erwarten EWI/Prognos zwar eine allmähliche Entkopplung des Gaspreises vom Ölpreis; sie setzen die erwartete Steigerung mit 26 % aber deutlich höher als die der Kohlen-Weltmarktpreise an. Selbst wenn die Ölpreise auf Dauer nicht so stark steigen wie in der Ölpreisvariante prognostiziert, erscheint die hier angenommene Gaspreisentwicklung sehr realistisch.
Die neue Studie, die - als Auftragsarbeit für das BMWi - ja immerhin die aktuelle Ergänzung des offiziellen Energiereports der Bundesregierung ist, unterstellt zwar weder mengen- noch kostenmäßige Restriktionen und "tendenziell wettbewerbliche Marktstrukturen" auf dem Steinkohlenweltmarkt. Gleichwohl ist zu bedenken, dass der international gehandelte prozentuale Anteil der weltweit geförderten Steinkohlen in den nächsten Jahren tendenziell kleiner wird, auch bei weiter wachsender Weltkohlenförderung. Denn vor allem die großen Steinkohlenförderländer wie China, Indien und die USA verbrauchen ihre Steinkohlen nahezu vollständig selber oder müssen sogar noch zusätzlich Steinkohlen importieren.
Das heißt: Die in der neuen EWI/Prognos-Studie angenommenen höheren Steinkohlenanteile am PEV und in der Stromerzeugung lassen sich auf einen Steinkohlenbedarf von rund 90 Mio. t im Jahr 2030 hochrechnen. Wenn diese Menge bei weiter sinkender heimischer Steinkohlenförderung überwiegend durch Importe gedeckt werden soll, müsste Deutschland allein auf Dauer rund jede zehnte Tonne auf dem Weltmarkt und jede zweite nach Westeuropa importierte Tonne für sich beanspruchen. Damit würde das Mengenrisiko angesichts dieser Größenordnungen allerdings ebenso wachsen wie das Preisrisiko. Konkret: Es erscheint fraglich, ob zusätzliche Steinkohleimporte in dieser Größenordnung für den deutschen Bedarf dann überhaupt darstell- und bezahlbar wären, selbst wenn keine besonderen Lieferstörungen auftreten würden. Denn der Steinkohlebedarf und -verbrauch steigt ja auch in anderen Ländern und Weltregionen; damit wächst der Mengen- und Preisdruck.
Anders ausgedrückt: Wenn die neue EWI/Prognos-Annahme - deutlich höhere Ölpreise verändern die Energieträger-Verbrauchsstruktur - zutrifft, dann gilt das prinzipiell ja auch für andere Länder. Folglich wird der Steinkohlenbedarf auch in einer ganzen Reihe anderer Länder zusätzlich deutlich wachsen. Die Folge: ein zunehmender Verteilungskampf auf dem Steinkohlenweltmarkt. Vor diesem Hintergrund erscheinen politische Überlegungen in Deutschland, aus der heimischen Steinkohleförderung auszusteigen und den deutschen Bedarf künftig zu 100 % über Importe decken zu wollen, mehr als je zuvor gewagt - um nicht zu sagen unverantwortlich.
Originaltext: GVST GV d. deut. Steinkohlebergbaus Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=54802 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_54802.rss2
Pressekontakt:
Gesamtverband des deutschen Steinkohlenbergbaus Andreas-Peter Sitte Rellinghauser Str. 1 45128 Essen Tel.: 0201/177-4320 Fax: 0201/177-4271 E-Mail: andreas-peter.sitte@gvst.de
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