Wie viel Forschung steckt im Fußball?
Geschrieben am 24-06-2010 |
Frankfurt/Main (ots) - Millimetergenaue Traumpässe, artistische
Balleinlagen, knallharte Torschüsse - was heute die Fans weltweit am
Fußball begeistert, war vor 50 Jahren kaum denkbar. Ursache waren
nicht etwa schlechte Spieler, sondern eher drittklassige Bälle,
Schuhe und Trikots. Das änderte erst intensive Forschung.
Fußballstiefel mit Metall- oder Lederstollen, unkomfortable
Wolltrikots und Schienbeinschoner aus Holz, die bei enger Schnürung
nicht selten Wadenkrämpfe hervorriefen. In den Anfängen des modernen
Fußballs mussten die Spieler einiges einstecken können. Denn bis
Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Ausrüstung der Kicker
überwiegend aus Naturmaterialien gefertigt, die sich den Bedürfnissen
der Athleten und den Anforderungen der Sportart kaum anpassten.
Wildes Gebolze mit hohem Körpereinsatz prägte daher lange Zeit das
Geschehen auf dem Rasen. Dann kam die Forschung. Chemische und
technische Errungenschaften ermöglichten die Entwicklung
synthetischer Materialien, die insbesondere Ball und Schuhe, und
damit auch das Geschehen auf dem Spielfeld nachhaltig veränderten.
Mit Bodenhaftung zum Meistertitel
Dass die richtige Ausstattung über Sieg und Niederlage entscheiden
kann, erfuhr die deutsche Nationalmannschaft 1954 im regnerischen
WM-Finale gegen Ungarn. Zeugwart Adi Dassler schickte das Team mit
neuartigen Fußballschuhen auf den Platz. Ihr Vorteil: austauschbare
Schraubstollen. In der Halbzeitpause wechselte das Team mit Kapitän
Fritz Walter seine Stollen, um auf dem zunehmend rutschigen Rasen die
Bodenhaftung nicht zu verlieren. Die Strategie geht auf. In der 84.
Minute schoss Helmut Rahn das erlösende dritte Tor, Tor, Tooor -
Deutschland ist Weltmeister.
Der Schraubstollenschuh von 1954 ist ein Meilenstein in der
Entwicklung des Fußballschuhs - auch, weil er bereits unterhalb des
Knöchels abschloss. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts kickten die
europäischen Vereine mit robusten Fußballstiefeln. Ausgestattet waren
sie mit einer harten Lederkappe und mit Eisenstollen. Diese drückten
sich schnell durch die ledernen Sohlen und machten die klobigen
Treter zur Tortur für die Spieler. Abhilfe schafften spezielle
Verstärkungen wie steife Holzleisten zwischen der Lauf- und
Brandsohle - zum Nachteil der Flexibilität. Erst nach und nach
setzten sich flache, leichte Halbschuhe durch. So trugen die Helden
von Bern nur 350 Gramm an jedem Fuß - etwa halb so viel wie ihre
ungarischen Gegner, was den Athleten ein wesentlich schnelleres,
technisch ausgefeilteres Spiel ermöglichte. Die leichten Halbschuhe
steigerten aber auch die Verletzungsgefahr der Sportler an
Achillesferse, Fußspann und -spitze. Wie sich diese Problemzonen
durch lokale Verstärkungen schützen lassen und die Stabilität der
Leichtgewichte insgesamt erhöht werden kann, beschäftigte fortan die
Forscher. In ihrer Suche nach dem perfekten Fußballschuh richteten
sie ihr Augenmerk auch zunehmend auf die Dämpfung sowie die
Wasserdichtigkeit und Langlebigkeit der verwendeten Materialien.
Barfuß oder gar nicht
Die Schuhpflicht für Fußballer führte die FIFA erst zur
Weltmeisterschaft 1950 ein. Sehr zum Ärger der indischen
Nationalmannschaft. Denn die Kicker vom Subkontinent bestritten bis
dahin barfuß ihre Spiele und wollten sich dem Schuhzwang nicht
unterwerfen. Mit seiner Absage verzichtete der indische Verband auf
seine bisher einzige Chance, an einer Weltmeisterschaft teilzunehmen.
Mit abnehmender Tendenz
Den wohl größten Entwicklungssprung verdanken die Fußballschuhe
chemischen Errungenschaften: wetter- und reißfeste Kunststoffe.
Polyamide und Polyurethane ermöglichen die Entwicklung von
Laufsohlen, Einlagen und Oberschuhen, die stabil und flexibel
zugleich sind. Die synthetischen Materialien erhöhen zudem den
Tragekomfort und reduzieren das Gewicht des Schuhkorpus erheblich. So
sind die Hightech-Schuhe, mit denen Philipp Lahm und seine
Mannschaftskollegen in die südafrikanischen WM-Stadien einlaufen,
noch einmal mehr als 100 Gramm leichter als der Weltmeisterschuh von
1954.
Dank kontinuierlicher Forschung haben sich die verwendeten
Synthetikmaterialien beständig weiterentwickelt. Eine bestmögliche
Balance zwischen Schuhstabilität, Fußschutz und Schuhgewicht wurde
erreicht. Die Anstrengungen der Forscher kratzen heute daher
insbesondere an der Oberfläche: Innovative hochwertige Kunststoffe
verleihen dem Schuh hier mehr Griffigkeit und fördern eine optimale
Ballbehandlung. Für die nötige Durchschlagskraft sorgt die
Kombination mit Einlagesohlen aus Polymeren. Durch ihre speziellen
Biegeeigenschaften passen sich die Kunststoffsohlen dem Drehsinn der
Fußbewegung an und übertragen die Schusskraft noch besser auf den
Ball. So sind für die deutsche Elf in Südafrika zumindest in
materieller Hinsicht beste Voraussetzungen gegeben. Bleibt nur noch,
Sepp Herbergers berühmtem Ratschlag zu folgen: "Das Runde muss in das
Eckige."
Ein halbes Tor
Die mangelnde Stabilität der alten Lederfußbälle sorgte in den
1940-er Jahren im brasilianischen Paraíba für einen kuriosen
Endstand. Beim Elfmeter der Heimmannschaft platzte die Naht des
Balls. Die Lederhülle blieb vor dem Tor liegen, die Gummiblase
landete hinter der Linie. Unter dem Druck der Zuschauer entschied der
Schiedsrichter auf ein halbes Tor - das Spiel endete 0,5:0.
Schwammige Eigenschaften
Diese Fußballweisheit hat den Trainer zwar unsterblich gemacht,
doch ganz korrekt ist sie nicht. Sepp Herberger hätte seine
Nationalelf anweisen müssen, das Eiförmige zwischen die beiden
Pfosten zu schießen. Denn 1954 kickte die deutsche Mannschaft noch
mit einem handgenähten Ball: 18 längliche in Dreierketten zusammen
gereihte Lederstücke umhüllten eine Luftblase aus vulkanisiertem
Gummi und ließen den Ball eher einem Ei statt einer Kugel ähneln.
Dementsprechend unberechenbar war die Flugbahn. Die Lederpille saugte
zudem trotz Einfettens bei Regen viel Wasser auf - das erschwerte
nicht nur den Spielfluss, sondern erhöhte auch das Verletzungsrisiko
bei Kopfbällen.
Die schwammigen Eigenarten des Balles bereiteten auch späteren
Fußballgenerationen noch Kopfzerbrechen. Das änderte sich allmählich
ab der Weltmeisterschaft 1974 in München, als mit dem "Telstar
Durlast" der erste beschichtete Ball ins Spiel kam. Der Kunststoff
Polyurethan sorgte nicht nur für einen glänzenden Auftritt des aus 32
schwarz-weißen Teilen genähten Fußballleders, sondern schützte den
Ball auch vor Abrieb und machte ihn wasserfester. Die Partie
Deutschland gegen Polen - unvergesslich als Frankfurter Regenschlacht
- hätte mit einem herkömmlichen Lederball möglicherweise kein
erfolgreiches Ende genommen. 1986 gelang mit dem komplett aus
Synthetik gefertigten "Azteca" die Revolution in der
Fußballherstellung - erstmals ließ sich ein Ball bei absolut gleich
bleibender Qualität in Serie fertigen. Die Pille war enorm
strapazierfähig, weitgehend unempfindlich gegen Nässe und so konstant
gut spielbar.
Besserer Griff, mehr Tore
Dennoch forschten Sportartikelhersteller in Kooperation mit der
chemischen Industrie intensiv an der Entwicklung neuartiger
Materialien für den perfekten Ball. Verbesserte Kunststoffe
erscheinen, die Nähte verschwinden. Der Ball wird stabiler,
schneller, runder. Höhepunkt dieser Entwicklung ist "Jabulani", der
Ball der WM in Südafrika. Franz Beckenbauer beschreibt ihn als "eine
Mischung aus Marsstaub, Mondstaub, Gold und Platin." Tatsächlich
formen jedoch nur acht thermisch verschweißte und sphärisch geformte
Einzelteile aus Polyurethan den bis dato rundesten Ball der
Fußballgeschichte. Das neu entwickelte Profil soll zusätzlich für ein
außergewöhnlich stabiles Flugverhalten und eine perfekte Griffigkeit
bei allen klimatischen Bedingungen sorgen - überraschende
afrikanische Kältewellen eingeschlossen. So haben die WM-Torhüter bei
der WM 2010 gleich zwei Gründe zum Zittern. Die Fans in den Stadien
wird es trotz der einstelligen Temperaturen freuen. Denn für sie sind
Treffer Fußballfaszination pur.
Eine Grafik steht als Download zur Verfügung unter:
www.vci.de/presse/infografiken .
Originaltext: Verband der Chemischen Industrie e.V.
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