"Wir brauchen mehr Verantwortung" / Interview mit Ex-Kanzler Helmut Schmidt im ZDFinfokanal
Geschrieben am 25-06-2010 |
Mainz (ots) - Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt meldet sich wieder
zu Wort - in einem ausführlichen Fernsehinterview, das der
ZDFinfokanal am Montag, 28. Juni 2010, um 20.45 Uhr unter dem Titel
"Wir brauchen mehr Verantwortung" ausstrahlt. "Wir brauchen keine
Visionen. Wir brauchen mehr Verantwortung", sagt Schmidt im Gespräch
mit ZDF-"aspekte"-Redakteur Christhard Läpple.
Der 91-Jährige hat sich in seiner Heimatstadt Hamburg eine knappe
Stunde Zeit genommen, um Klartext zu reden über Rücktritte,
Vertrauenskrisen und die Finanzmisere. Wie immer ist Schmidt offen,
direkt und schnörkellos. Er sagt, was er denkt. Von der
schwarz-gelben Koalition fühlt er sich nicht zweckmäßig regiert.
Den Rücktritt von Horst Köhler bedauert Schmidt. Es sei keine
"Fahnenflucht, viel mehr ein Akt der Verzweiflung" gewesen. Von einem
neuen Bundespräsidenten erwartet er, dass er "für das ganze Land da
ist". Auf die Frage, wer der qualifiziertere Kandidat sei, hält sich
Schmidt zurück: "Dazu will ich mich nicht äußern. Das ist
Tagespolitik, und ich bin im 92. Lebensjahr. Ich bin älter als
Adenauer je geworden ist. Sie können nicht zu viel von mir
verlangen."
Über die Arbeit der schwarz-gelben Regierungskoalition äußert
Schmidt sich kritisch: "Ich will deutlich sagen, der
Koalitionsvertrag, den diese beiden Parteien heute vor einem halben
Jahr miteinander geschlossen haben, war ein Dokument ökonomischer und
politischer Instinktlosigkeit. Sie haben alle möglichen Dinge in
einen Vertrag geschlossen, die sie nun machen wollten, angefangen mit
Steuersenkungen, und nichts davon ist zurzeit sonderlich brauchbar."
Das aufgelegte Sparpaket findet Helmut Schmidt sozial
unausgewogen: "Dieses Gefühl ist völlig gerechtfertigt. Es ist nicht
nur ein Gefühl, sondern objektiv ist es die Wahrheit. Es ist die
Wahrheit, dass in Wirklichkeit die kleinen Leute stärker belastet
erscheinen. Und einige der großen Leute, nicht alle, scheinen
ungeschoren davon zu kommen. Ich habe sehr viel Sympathie für
Tendenzen zum Beispiel die Spitzensteuersätze zu erhöhen in der
gegenwärtigen Lage." Einen Seitenhieb auf Bundeskanzlerin Angela
Merkel mag er sich nicht verkneifen. Schmidt traut ihr nicht zu, das
Land aus der Krise zu führen: "Diese Regierung ist sehr mittelmäßig.
Persönlich sehr anständig, aber nicht sonderlich zweckmäßig."
Der Elder Statesmen der deutschen Politik warnt dennoch vor zu
viel Schwarzmalerei. Es handele sich derzeit nicht um eine "spezielle
deutsche Krise". Der Altbundeskanzler wörtlich: "Ich muss zur
Beruhigung unseres deutschen Publikums noch einmal darauf hinweisen:
Der innenpolitische Vertrauensverlust unserer Bundesregierung ist
auch nicht größer als der innenpolitische Vertrauensverlust der
Regierungen in Paris oder sonst wo in Europa. Es ist überall eine
ähnliche Reaktion auf die Folgen der Finanz- und Bankenkrise."
Originaltext: ZDF
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