NRZ: Kommentar zur Wahl von Christian Wulff
Geschrieben am 30-06-2010 |
Essen (ots) - Auf diese Bundesversammlung können wir stolz sein.
Für Wulffs hohes Amt ist der katastrophale Start eine Schramme, aber
kein Totalschaden. Für Angela Merkel allerdings schon. Das dramatisch
schlechte Ergebnis im ersten Wahlgang war eine gelbe Karte für die
Koalition. Doch die überraschende Schlappe im zweiten Angang war eine
Rebellion gegen die Kanzlerin. Eigentlich sollte die Wahl des
Staatsoberhaupts nicht vom üblichen Polit-Poker bestimmt sein. Angela
Merkel hatte die sicher geglaubte Abstimmung aber schon im Vorfeld
zum Test für ihre Regierungsarbeit gemacht. Ein Aufbruchssignal für
den Neuanfang von Schwarz-Gelb sollte die Wulff-Wahl werden.
Stattdessen hat Merkel den Tiefpunkt ihrer Kanzlerschaft erreicht.
Selbst die eigenen Leute versagen ihr die Gefolgschaft. Politiker
nennen das eine Denkzettelwahl, Fußballer eine "Klatsche".
Angela Merkel hat die Koalition nicht mehr unter Kontrolle. Union
und FDP fehlt es an Gemeinsamkeiten und Geschlossenheit. Frau Merkel
fehlt es an Führung, Linie und Überzeugungskraft. Womöglich ist das
Desaster in der Bundesversammlung der Anfang vom Ende der
schwarz-gelben Wunschkoalition. Eine Schande für die "Linke" ist ihre
sture Blockade des Bürgerpräsidenten Gauck. Sie wird noch für lange
Zeit erklären müssen, warum sie so wenig Gespür für die Demokratie
und die Stimmung in der Bevölkerung gezeigt hat. Es war ihre
historische Chance, mit dem DDR-Erbe zu brechen.Stattdessen hat sie
sich ganz und gar als Ex-SED präsentiert und schließlich, unglaublich
aber wahr, Christian Wulff zum Zittersieg verholfen. Nein, mit der
Linkspartei ist kein Staat zu machen. Dennoch hat die Union dankbar
die stille Hilfe der Altkommunisten akzeptiert. Von nun an wird sie
es schwer haben, rot-grüne Koalitionen mit der "Linken" zu
kritisieren.
Christian Wulff ist nun der erste Bürger im Staat. Er hat alle
Chancen in diese Rolle hineinzuwachsen. Bisher hat das Amt noch aus
jedem etwas gemacht, sogar aus Horst Köhler - warum nicht auch aus
Christian Wulff. Sein Vorteil ist seine relative Jugend. Wenn er sich
schnell von Angela Merkel unabhängig macht, kann er an Format
gewinnen. Man darf gespannt sein, welches Thema er in den Mittelpunkt
seiner Amtszeit rückt. Bei Johannes Rau war es Versöhnung, bei Roman
Herzog der "Ruck", Horst Köhler hatte kein Thema - und Christian
Wulff? Bitte, Herr Bundespräsident, überraschen Sie uns!
Originaltext: Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung
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