Neue Westfälische (Bielefeld): Rücktritt von Ole von Beust Einsamkeitserfahrung JOHANN VOLLMER
Geschrieben am 18-07-2010 |
Bielefeld (ots) - Gähnen ist bekanntlich ansteckend. Dass aber die
Amtsmüdigkeit unter deutschen Spitzenpolitikern so um sich greift,
ist erschreckend. Was immer Hamburgs Ersten Bürgermeister Ole van
Beust wirklich zu seinem Rücktritt bewogen haben mag - ob die voraus
geahnte Niederlage im Hamburger Schulstreit oder private Gründe -
seine Flucht aus der Verantwortung wirft ein schlechtes Licht auf die
Qualität der politischen Führungsriege. Der Rücktritt ist in
Krisenzeiten zum Allheilmittel verkommen. Zum Willen zur Macht gehört
auch die Überzeugung, dass es im Prinzip niemanden gibt, der die
Aufgabe besser erfüllen könnte, als man selbst. Dass dieses
Grundvertrauen vor allem in den Reihen der CDU nicht mehr gegeben
ist, muss eine Ursache haben. Kanzlerin Angela Merkel verliert mit
von Beust ihren sechsten CDU-Landesvater innerhalb eines Jahres.
Dieter Althaus fand nach dem Skiunfall nicht zu alter Stärke zurück.
Günther Oettinger flüchtete nach Brüssel, Roland Koch in die
Privatwirtschaft. Christian Wulff stellte die eigene Weiche aufs
politische Abstellgleis ins Präsidentenamt, das sein Vorgänger Horst
Köhler ebenfalls lust- und kraftlos hingeschmissen hatte. Und bei
Jürgen Rüttgers, der zwar ordnungsgemäß aus dem
Ministerpräsidentenamt gewählt wurde, zeigten sich nach kurz
aufblitzendem Kampfesmut doch starke Spuren von Resignation. Dass die
Einsamkeitserfahrung und Vergeblichkeitsgedanken bei den CDU-Oberen
so verbreitet sind, liegt auch am Regierungsstil der Kanzlerin.
Rückendeckung für angeschlagene Führungskräfte lässt sie vermissen.
Gewinnbringende Kontroversen hat sie nie befördert. Einer
Positionierung in Flügelkämpfen verweigert sie sich. Wenn aber unter
Merkel die Profillosigkeit zum Karrierekriterium wird, verliert die
Öffentlichkeit etwas Entscheidendes: Exponierte Vertreter für die
eigenen Überzeugungen.
Originaltext: Neue Westfälische (Bielefeld)
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