Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Niedrig- oder Mindestlohn
Geschrieben am 27-07-2010 |
Bielefeld (ots) - Das Lohnsystem franst nach unten aus.
Stundenlöhne zwischen zwei und fünf Euro, wie sie in jüngster Zeit
bekannt wurden, sind sittenwidrig - wenn nicht vor Gericht, dann doch
im allgemeinen Sprachgebrauch. Ihr Bekanntwerden müsste den
betroffenen Arbeitgebern eigentlich die Schamesröte ins Gesicht
treiben. Das Erschreckende ist: Einige verteidigen stattdessen das
Lohndumping sogar noch. Nun aber kommt die Nachricht, dass schon mehr
als jeder Fünfte in Deutschland für seine Arbeit nur mit einem
Niedriglohn entgolten wird. Niedriglohn ist alles, was zwei Drittel
des mittleren Stundenlohns nicht erreicht. Nach einer Studie des
Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen
steigt die Zahl der so gering Bezahlten seit 2001 kontinuierlich.
Daraus leiten die Wissenschaftler die politische Forderung nach einem
einheitlichen Mindestlohn ab, den sie auf 5,93 bis 9,18 Euro je
Stunde setzen. Merkwürdig genug: Die obere Zahl läge immer noch unter
der Niedriglohngrenze, die die Studie für Westdeutschland auf 9,50
Euro festgesetzt hat. Das Thema ist zu ernst, um mit Zahlen und
Worten zu jonglieren. Erschütternd ist in jedem Fall, dass 3,6
Prozent aller Beschäftigten weniger als fünf Euro pro Stunde
erhalten. Insgesamt sind das mehr als 1,1 Millionen. Im Alltag wirkt
sich der Niedrigstundenlohn sehr unterschiedlich aus. Am schwersten
haben es die, von deren Lohn eine ganze Familie leben soll. Sicher
kann der Sozialstaat hier das ein oder andere Defizit ausgleichen.
Doch unterm Strich sollte ein in Vollzeit beschäftigter Arbeitnehmer
eigentlich genug Geld verdienen, um davon mit seiner Familie leben zu
können. Der gleiche Niedrigstundenlohn hat als Taschengeldzugabe für
einen Schüler einen viel niedrigeren Stellenwert. Ein Blick in die
Studie zeigt, wer in diesem Land wirklich benachteiligt ist: Mit 35
Prozent ist der Anteil der Niedriglöhner in den östlichen Ländern
viel höher als im Westen (15 Prozent). Betroffen sind zudem vor allem
Leute ohne Berufsausbildung (38 Prozent), Jugendliche unter 25 Jahren
(54), Frauen (30), Ausländer (34) sowie die Besitzer befristeter
Arbeitsverträge (39). Ein anderes Kriterium, das bei der Studie nicht
berücksichtigt wurde, ist die Frage des Trinkgelds. Ein Kellner kommt
mit sechs und ein Friseur mit dem Einstiegsstundenlohn von 7,65 Euro
dann vielleicht über die Runden, wenn die Kundschaft - wir alle - den
Rechnungsbetrag großzügig aufstockt. Ein überall für alle Berufe
einheitlicher Mindestlohn hätte vermutlich zur Folge, dass manche
einfachen Arbeitsplätze ganz wegfallen. Das träfe gerade jene, die
keine Berufsausbildung haben. Ihnen bliebe nichts anderes übrig, als
das Heer der Hartz-IV-Empfänger zu vergrößern, womit sie weiter an
den Rand der Gesellschaft gedrängt würden. Die Wirklichkeit ist kein
Wunschkonzert. Ein Mindestlohn ist nur dann sinnvoll, wenn er für
jede Branche getrennt von den Tarifparteien ausgehandelt wird.
Originaltext: Westfalen-Blatt
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Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261
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