Westdeutsche Zeitung: Der Dipl.-Ing. ist nichts als deutsche Akademikerfolklore = von Olaf Steinacker
Geschrieben am 02-08-2010 |
Düsseldorf (ots) - Was ist wichtiger, Inhalt oder Verpackung?
Keine Frage, es kommt immer darauf an, was drinsteckt. Das ist auch
bei einem Studium der Ingenieurswissenschaften so. Inhaltlich macht
es für Studenten keinen Unterschied, ob sie sich nach fünf Jahren an
einer Hochschule Diplom-Ingenieur oder Master of Sience nennen
dürfen. Entscheidend ist die Zeit vor dem Abschluss. Das wissen auch
die neun Hochschulen, die jetzt den Diplom-Abschluss für Ingenieure
wiederbeleben wollen. Deshalb können sie auch schlecht am
Studiensystem à la Bolognese mit Bachelor und Master rütteln. Nach
dem Ende des Studiums zeige sich aber, dass es sehr wohl Unterschiede
zwischen dem alten und neuen Abschluss gebe. Sagen die Hochschulen.
Bei gleichem Wissens- und Notenstand werde sich ein Master-Absolvent
schwerer tun, mit einem diplomierten Ingenieur mitzuhalten. Der
Dipl.-Ing. habe Gewicht in Deutschland und in der Welt. Schließlich
sei das Etikett "Made in Germany" zu weiten Teilen das Ergebnis
deutscher Ingenieurskunst. Und die sei nun mal mit dem Diplom
verknüpft. Möglichweise war es in der Tat nicht besonders klug, den
Dipl.-Ing. ohne Not aufzugeben. Die Bologna-Verträge zumindest
schreiben keinem Land vor, wie es akademische Grade zu nennen hat. In
Österreich beispielsweise darf sich ein Ingenieur mit Master-Grad
auch weiterhin Diplom-Ingenieur nennen. Deswegen in Deutschland nach
einem Jahrzehnt das Rad zurückzudrehen und einen Abschluss zu
reanimieren, der von den Kultusministern der Länder einvernehmlich
beerdigt wurde, geht in die falsche Richtung. Unterm Strich ist die
Bezeichnung Dipl.-Ing. nichts anderes als Akademikerfolklore und
Marketing in eigener Sache. Übrigens war der Abschluss auch vor
Bologna nicht einheitlich. Wer an einer Fachhochschule studierte,
musste hinter seinem Grad mit dem Zusatz "FH" leben. Versäumt haben
die Hochschulen eins: Klar zu machen, dass Master-Ingenieure genau so
viel können wie ihre Diplom-Kollegen. Dass dem Master die Akzeptanz
fehlt, haben die Universitäten sich und ihren Absolventen durch die
mürrische und teilweise widerwillige Umsetzung der Studien-Reformen
selbst eingebrockt. Daran ändert auch die neue/alte Verpackung
nichts.
Originaltext: Westdeutsche Zeitung
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