WAZ: Streit um Sicherungsverwahrung - Vorerst müssen die Tore geschlossen bleiben - Kommentar von Dietmar Seher
Geschrieben am 20-08-2010 |
Essen (ots) - Würde Volkes Stimme entscheiden, wäre klar: Kein
sicherungsverwahrter Täter käme frei. Schon Ex-Kanzler Schröder hatte
für Kinderschänder gefordert: "Wegsperren. Für immer". Aber so
einfach ist die Sache nicht. Justitia arbeitet mit zwei Waagschalen.
Sie wägt Rechtsgüter ab. Das geht weder nach Bauchgefühl noch mit
Hauruck. Vielleicht also steht die Justiz in Deutschland vor einer
ihrer größten Herausforderungen. Die Rechtsgüter, die sie zu bewerten
hat, haben beide Verfassungsrang. Da ist das Recht auf Freiheit eines
Menschen, der Übles getan, aber seine gerechte Strafe abgesessen hat.
Soll man ihm dieses Recht, wenn auch in etwas milderer Form, nehmen,
nur weil Gutachter von ihm glauben, er könnte wieder rückfällig
werden? Da ist das Recht auf Leben und körperliche wie seelische
Unversehrtheit der möglichen Opfer. Soll man Gesundheit und Leben von
Unschuldigen gefährden, nur weil die Haftstrafe eines gefährlichen
Menschen ablief und nach Meinung eines Straßburger Gerichtshofs auch
in Form der Sicherungsverwahrung nicht verlängert werden darf? Die
Gerichte werden für diese Abwägung Zeit brauchen. Sie sollten
Grundsatzentscheidungen treffen, jeden Einzelfall daran messen. Weil
der Staat verpflichtet ist, die Sicherheit der Bürger
sicherzustellen, müssen die Betroffenen bis zu tragbaren
Entscheidungen in Verwahrung bleiben. Freilassen kommt also, vorerst,
nicht in Frage. Statt sich der Aufgabe zu stellen, dies zu regeln,
plappert die Justizministerin nur den Urteilstenor aus Straßburg
nach. Das ist peinlich. Denn das Menschenrechtsgericht kann nicht
vorschreiben, wie Deutschland im Detail mit seinen Urteilen umgeht.
Und Frau Leutheusser-Schnarrenberger ist nicht die Chefin der
höchsten deutschen Richter.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
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