Südwest Presse: Kommentar - Volksbegehren
Geschrieben am 13-09-2010 |
Ulm (ots) - Irgendetwas treibt die Bürger entweder auf die
Barrikaden oder in die Resignation. Offenbar reichen die
herkömmlichen Formen der politischen Partizipation - Mitgliedschaft
in Parteien, Teilnahme an Wahlen - nicht mehr aus, um die
parlamentarische Demokratie lebendig zu erhalten und ihre Akzeptanz
zu sichern. Immer mehr Menschen drücken ihren Willen in öffentlichen
Aktionen aus oder durch Verzicht auf ihr Stimmrecht. Das Volk
schwankt zwischen lautstarkem Protest und stillem Frust. Die
zunehmende Kluft, die Wähler und Gewählte voneinander trennt, bleibt
natürlich auch der politischen Klasse des Landes nicht verborgen.
Jüngst hat der Bundespräsident mit Sorge über diesen
Entfremdungsprozess gesprochen, doch war Christian Wulff weder der
erste Repräsentant des Staates, der das Thema als drängend entdeckt
hat, noch darf er behaupten, dass er in seiner bisherigen Rolle als
führender Vertreter der Parteiendemokratie mehr als andere dazu
beitragen konnte, die Distanz zum Bürger nicht weiter wachsen zu
lassen. Man muss also abwarten, ob es Wulff gelingt, neue Brücken
zwischen Bevölkerung und Politik zu bauen: Die einen zu ermahnen,
ihren Beitrag zum Gemeinwesen nicht auf eine bloße Antihaltung zu
beschränken, die anderen zu ermuntern, weniger Angst vor Volkes
Stimme zu haben. Schon der Vorgänger im Schloss Bellevue hatte
durchaus erkannt, dass da etwas auseinander läuft, was zusammen
gehört, nur hat Horst Köhler für sich selbst und die herrschende
Politik falsche Schlüsse daraus gezogen. Diesen Fehler sollte und
darf Christian Wulff nicht wiederholen. Intuitiv reagieren die
Adressaten des Unmuts sogar richtig auf die gesellschaftliche
Empörung über undurchsichtige Entscheidungen in der Politik und ein
Erstarken jener fünften Macht, die der frühere Präsident des
Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, im florierenden
Gewerbe von Interessenverbänden und Lobbyisten sieht. Die Parteien
scheinen den Ruf nach mehr direkter Demokratie zu hören und antworten
darauf mit breiteren Angeboten plebiszitärer Beteiligung, etwa durch
Bürgerbegehren oder basisdemokratische Kandidatenkür - zurück zu den
Graswurzeln der Volksherrschaft mithin. Ist das die Lösung? Vorsicht.
Lange schon debattiert der Bundestag über eine Ergänzung des
Grundgesetzes um direktdemokratische Instrumente, ohne den
repräsentativen Charakter unserer staatlichen Ordnung in Frage zu
stellen. Was in Gemeinden und Ländern längst politische Praxis ist,
stößt im Bund auf größere Reserven. Tatsächlich eignen sich kommunale
Genehmigungsverfahren oder das gegliederte Schulsystem eher für ein
Referendum als die Frage, ob sich die Bundeswehr nun aus Afghanistan
zurückziehen soll oder nicht. Besonders aber muss vor scheinbar
uneigennützigen Offerten der Parteien an Bürger oder Basis gewarnt
werden, wenn diese vorrangig taktischem Kalkül entspringen. Chancen
der Mitbestimmung bei Personal- oder Sachentscheidungen müssen echt
und effektiv sein, nicht aber wie im Fall von Stuttgart 21 der
verzweifelte Versuch, Verantwortung abzuwälzen und einem selbst
produzierten Dilemma zu entrinnen. Nur was wirklich zu mehr
Transparenz bei der Willensbildung in Parlamenten und Regierungen
führt, zu mehr Einfluss der Bürger sowie zu einem Aufbrechen der
Oligarchie von Parteifunktionären und Mandatsträgern zu Gunsten von
einfachen Mitgliedern oder Sympathisanten, zu mehr wirksamer
Beteiligung der Wähler an den Verhandlungen über die Geschicke dieses
Landes, wäre ein Gewinn. Volksentscheide als Alibi, Basisdemokratie
als Event indes helfen der Demokratie nicht aus der
Glaubwürdigkeitskrise.
Originaltext: Südwest Presse
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/59110
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_59110.rss2
Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
289065
weitere Artikel:
- WAZ: Der Bundespräsident in Duisburg - Wulffs Klasse. Kommentar von Wilhelm Klümper Essen (ots) - Bundespräsident Wulff übt noch. Sarrazin verurteilte
er so früh, dass er nicht mehr unbefangener Richter über den
Bundesbanker hätte sein können. Nur ein anrüchiger Handel bewahrte
ihn vor einer Blamage. Am Sonntagabend beging Wulff gleich den
nächsten Fauxpas.
Das Staatsoberhaupt rauschte in den Duisburger Landschaftspark, um
ebenso wie Ministerpräsidentin Hannelore Kraft dem Konzert "Sinfonie
der Tausend" beizuwohnen. Oberbürgermeister Sauerland gab dem
Bundespräsidenten kurz die Hand. Hernach würdigten Wulff mehr...
- WAZ: NRW-Grüne wollen nicht sparen - Falsches Signal. Kommentar von Theo Schumacher Essen (ots) - Man ahnte bereits nach den ersten Regierungswochen,
dass die rot-grüne Koalition in NRW das Sparen nicht entdeckt hat.
Ihre Philosophie der vorsorgenden Sozialpolitik reißt in einen hoch
verschuldeten Etat zunächst neue Milliarden-Löcher. Aber niemand kann
sagen, ob und wann zusätzliche Investitionen in Kitas und Schulen
auch finanziell Früchte tragen werden. Echter Sparwille ist bisher
nicht zu erkennen. Das aber kann sich ein Land nicht leisten, das
seine Schulden bis 2011 auf satte 140 Milliarden Euro steigern wird. mehr...
- WAZ: SPD im Dilemma. Kommentar von Dirk Hautkapp Essen (ots) - Die SPD erscheint wie zuletzt im Fall Clement erneut
als Partei, die extrem abweichende Meinungen nicht ertragen kann.
Anstatt die krude gemixten Argumente des Vereinfachers Thilo Sarrazin
beharrlich zu widerlegen und etwaige Restbestände an geschilderter
Wahrhaftigkeit in eine zukunftsgewandte Integrationsdebatte zu
überführen, will die Führung den Genossen vor die Tür setzen.
Ob es so kommt, ist offen. Die Partei-Juristen sind unabhängig.
Die Entscheidung von gestern gibt dem Ex-Bundesbanker aber ein Forum,
das mehr...
- Lausitzer Rundschau: Aussetzung einer Pflicht CDU macht Weg für Berufsarmee frei Cottbus (ots) - Karl-Theodor zu Guttenberg hat wieder mal auf
Risiko gespielt und wieder mal gewonnen. Die Aussetzung der
Wehrpflicht ist eine Jahrhundertentscheidung. Freilich, so ganz als
Visionär sollte man den CSU-Politiker nicht einstufen. Gegen die
Wehrpflicht sprach aus seiner Sicht vor allem der Spardruck des
Finanzministers, den er so am schnellsten erfüllen konnte. Außerdem
spürte er natürlich, dass die Jugend den Sinn nicht mehr recht sieht.
Guttenberg hat mit seinem spontanen Vorschlag auch Glück gehabt, weil
Horst mehr...
- Lausitzer Rundschau: Ausgang ungewiss SPD-Ausschlussverfahren gegen Sarrazin beschlossen Cottbus (ots) - Die Bundesbank entledigt sich Thilo Sarrazins mit
einem goldenen Handschlag. Die SPD kann dem Störenfried nichts
dergleichen bieten, um den Fall auf elegante Weise aus der Welt zu
schaffen. Das vom Vorsitzenden Sigmar Gabriel gegen zunehmende
innerparteiliche Bedenken verfochtene Ausschlussverfahren käme im
Erfolgsfall einer politischen Entmündigung Sarrazins gleich. Kein
Wunder, dass sich der Provokateur mit Händen und Füßen gegen diesen
Absturz in die eigene Bedeutungslosigkeit wehrt. Wer nur noch für
sich selbst mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|