LVZ: Leipziger Volkszeitung zu Schröder
Geschrieben am 26-10-2006 |
Leipzig (ots) - Live bei Phoenix, live auf n-tv, live auf N24: Kein Nachrichtensender konnte und wollte sich gestern die Buchpräsentation des Jahres entgehen lassen. Seit Montag rollt die mediale Vermarktungswelle um die Biografie von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Generalstabsmäßig inszeniert, nichts und sei es das kleinste Detail, wird dem Zufall überlassen. Den Anfang machten Bild und Spiegel, zwei Auflagen-Riesen, die zwischen aufgeklärten Bauarbeitern und globetrottenden Top-Managern so ziemlich alle sozialen Schichten erreichen. Und wer dem Live-Haftigen aus dem Hannoverschen bis jetzt noch entkommen konnte - bitte nicht zu früh in Sicherheit wähnen. Als Titelfoto der heutigen Tageszeitungen - wie auch in dieser - und in den TV-Schwatzbuden der Republik - von Beckmann bis Christiansen - will der Agenda-Erfinder das Volk, das ihn vor gut einem Jahr aus dem Amt gewählt hatte, mit bekannter jovialer Heiterkeit davon überzeugen, dass seine Biografie in jedes Bücherregal gehört. Wo soviel mediale Lockerheit regiert, da soll auch das traditionell skeptische Kulturpublikum nicht darben - und wird mit einem Verriss genresicher beruhigt. ZDF-Aspekte rechnet heute Abend mit den Memoiren ab. Soviel Kritik darf es dann schon sein, das muss die Gerd-Show aushalten. Grämen braucht sich Schröder darüber nicht. Die Medienkampagne des Medienkanzlers kann Seitenhiebe locker wegstecken, ohne an Schwung zu verlieren. Auch eine vernichtende Kritik bringt schließlich einen Werbeeffekt. Die glänzend geölte PR-Maschine hat bislang dafür gesorgt, dass die Lesungen auf der Tour weitgehend ausverkauft sind, darunter die in der kommenden Woche in Dresden und Leipzig. Schröders Startauflage von 160000 Exemplaren entspricht in etwa der Gesamtauflage der Kohl-Biografie. Und der CDU-Altkanzler hatte mit seinem Blick zurück auf Mauerfall und deutsche Einheit historisch wesentlich bedeutsamere Einblicke zu bieten. Was im Umkehrschluss auch heißt, dass am Ende eine clevere Werbestrategie mehr bedeutet als schwergewichtige Inhalte. Das ist vielleicht die Kernbotschaft der intensivsten PR-Kampagne eines Buches, seit Harry Potter die deutschen Leser verzauberte. Kann man das Schröder vorwerfen? Nur bedingt, denn er nutzt geschickt die Gesetze der Branche, für die er nicht verantwortlich ist. Auf der Klaviatur der Selbstinszenierung spielt er mit den Medien den perfekten Doppel-Pass. In der denkwürdigen Wahlnacht hatte er in einer seltenen Art von Bewusstseinstrübung Journalisten noch als Ursache für seine Niederlage an den Pranger gestellt. Jetzt braucht er sie wieder - und sie brauchen ihn. Gemeinsam wird am öffentlichen Denkmal gemeißelt. Und wie immer, wenn es um die Vergangenheit geht, ist die Verklärung nicht weit. Auch das hilft der Auflage. Denn im Weichzeichner lässt sich die Story vom politischen Aufstieg und Fall eines Charismatikers am besten verkaufen.
Originaltext: Leipziger Volkszeitung Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=6351 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_6351.rss2
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