Westdeutsche Zeitung: Illusionshändler Rüttgers = von Friedrich Roeingh
Geschrieben am 07-11-2006 |
Düsseldorf (ots) - Chapeau vor diesem Stehvermögen, vor dieser parteitaktischen Leistung. Als Jürgen Rüttgers nach der Verabschiedung der Arbeitsmarktreformen auf seinen einsamen Gegenkurs ging und die "Generalrevision" von Hartz IV forderte, wurde der Störenfried aus Düsseldorf in der Union belächelt. Knapp zwei Jahre später traut sich die Parteichefin und Kanzlerin nicht einmal mehr, öffentlich dagegenzuhalten. Während Rüttgers drei Wochen vor dem CDU-Parteitag die Ministerpräsidenten und wohl auch deren Landesverbände weitgehend hinter sich weiß, schickt Merkel ihre Adlaten aus der zweiten Reihe vor. Sichtbarer kann sie ihre Ohnmacht kaum noch dokumentieren.
Rüttgers wird seinen Parteitagsbeschluss bekommen, auch wenn der Antrag seines Landesverbandes die angekündigte Gegenfinanzierung bezeichnenderweise schuldig bleibt. Die Verlockung, im nicht enden wollenden Umfragetief, den Rächer der Enterbten zu geben und die Sozialdemokraten als kaltschnäuzige Reformtechnokraten zu isolieren, ist einfach zu groß. Dass unter solcher Hüh-und-Hott-Politik letztlich die Glaubwürdigkeit beider Volksparteien leidet, wird die waidwunde Union nicht anfechten.
Der langfristige Schaden, den der nordrhein-westfälische Ministerpräsident mit seiner kurzsichtigen Strategie anrichtet, ist immens. Rüttgers nährt die Illusion, dass sich soziale Gerechtigkeit auch in Zukunft durch Umverteilen herstellen lasse - obwohl der Globalisierungsdruck mittlerweile jeden Schreibtisch erreicht hat, obwohl der Staat überschuldet ist und obwohl unsere Gesellschaft langsam aber sicher überaltert. Wenn diese Sehnsuchtspolitik Schule macht, mag Rüttgers vielleicht die nächsten Landtagswahlen gewinnen. Deutschland aber kann dann einpacken.
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