Westfälische Rundschau: WR-Kommentar zur Freizügigkeit in der EU
Geschrieben am 21-03-2006 |
Dortmund (ots) - Der Bundesarbeitsminister will die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer aus den osteuropäischen EU-Beitrittsländern weiter verzögern - und die EU-Kommission ist sauer. Dabei sollten sie Franz Müntefering dankbar sein. Er erspart Brüssel mit großer Wahrscheinlichkeit einen weiteren dramatischen Vertrauensverlust.
Schon der gleichzeitige Beitritt von zehn Ländern hat die Europäische Union vor gewaltige Probleme gestellt. So richtig es politisch war, die Spaltung Europas durch die EU-Osterweiterung zu überwinden, so wenig ist es bislang gelungen, die Folgen dieses historischen Schrittes zu bewältigen. Es gibt nach wie vor keine Verfassung, kein überzeugendes Finanzkonzept und keine Harmonisierung von Steuer- und Sozialstandards.
Wer nun, wie die EU-Kommission, vor allem mit ordnungspolitischen Argumenten die schnelle Öffnung der Arbeitsmärkte fordert, ignoriert die Realität nicht nur in unserem Land. Die Beitrittsländer konkurrieren jetzt schon mit günstigen Steuern und niedrigen Löhnen um Industriebetriebe aus Westeuropa. Opel-Arbeiter in Bochum müssen sich quartalsweise mit den Vorzügen polnischer Standorte erpressen lassen, den Zulieferern der Autobranche im Sauerland wird unverhohlen nahegelegt, ins billigere Osteuropa umzuziehen.
Vor diesem Hintergrund wird die großartige europäische Idee aus der Perspektive deutscher Arbeitnehmer ohnehin immer mehr diskreditiert. Ein ungebremster Zustrom osteuropäischer Arbeitskräfte nach Deutschland könnte die Legitimation der europäischen Integrationspolitik vollends zerstören. Denn die Leidtragenden einer solchen Zuwanderung wären aller Voraussicht nach eben jene, die hierzulande jetzt schon keinen Zugang zum Arbeitsmarkt mehr finden - weil sie als zu alt oder zu teuer gelten.
Wer Europa ausschließlich unter Marktgesetzen betrachtet, unterhöhlt die politische Substanz der Union. Europas Fundament ist die Akzeptanz seiner Bürger. In Berlin scheint man das erkannt zu haben. In Brüssel werden sie es noch lernen müssen.
Originaltext: Westfälische Rundschau Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=58905 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_58905.rss2
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