"Es muss Änderungen geben, sonst gibt's keine Zustimmung"
Geschrieben am 15-12-2006 |
Berlin (ots) - Die Gesundheitseinigung der Großen Koalition ist unter Beschuss - Unionsnachwuchs und Mittelstand äußern Vorbehalte
Der Spitze der Großen Koalition droht Ungemach, denn die Gesundheitsreform bleibt höchst umstritten. Gerade aus den Reihen der CDU/CSU wollen sich immer mehr Abgeordnete, insbesondere der jüngeren Generation, dem Kompromissvorschlag entgegenstemmen. Unterstützung finden sie unter anderem beim renommierten Verfassungsrechtler Prof. Helge Sodan und dem Gesundheitsökonomen Prof. Peter Oberender.
Philipp Mißfelder, Vorsitzender der Jungen Union, hat sich schon frühzeitig darauf festgelegt, gemeinsam mit anderen jüngeren Bundestagsabgeordneten seiner Fraktion, dem Gesetz die Zustimmung zu verweigern. Er lehnt die Gesundheitsreform ab, "weil sie weder demographiefest noch generationengerecht ist". Da Wettbewerbsanreize fehlten, könnten die Kosten nicht nachhaltig gesenkt werden. Mißfelders Fazit fällt entsprechend negativ aus: "Die Gesundheitsreform beseitigt nicht die generellen Webfehler im System."
Der Chef des CSU-Nachwuchses, der Europaabgeordnete Manfred Weber, hält den Vorschlag der Koalitionsspitzen zudem für nicht langfristig zukunftsfähig. Bisher hätten Gesundheitsreformen darin bestanden, Leistungen zu kürzen, um die Kosten in den Griff zu bekommen. "Diese Methode ist definitiv am Ende", so Weber. Die notwendigen Maßnahmen gäbe der "gesunde Menschenverstand" vor: "Wenn man weiß, dass Kosten auf uns zukommen, muss Geld zurückgelegt werden." Er fordert, mit der Reform ernsthaft Demographievorsorge zu treffen.
Und auch die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung von CDU und CSU meldet Bedenken an. Der Vorsitzende der Kommission Gesundheit, Dr. Rolf Koschorrek, verlangt, die Ergebnisse des Anhörungsverfahrens ernst zu nehmen, 26 Stunden Anhörung dürften "nicht zur Farce verkommen". Der Bundestagsabgeordnete schätzt die Chancen der Kritiker als gut ein. "Es muss Änderungen geben, sonst gibt's keine Zustimmung", so Koschorrek.
Unterstützt werden die Unionspolitiker von namhaften Wissenschaftlern, die Ende November im "Weißbuch der ZahnMedizin" zur Gesundheitsreform Stellung genommen haben. Der Präsident des Verfassungsgerichtshofes Berlin, Prof. Dr. Helge Sodan, hat die Einigung der Koalitionsspitzen auf den Prüfstand der Verfassung gestellt. Sein Urteil: Wesentliche Regelungen sind mit dem Grundgesetz unvereinbar. Sodans seit einem halben Jahr geäußerte Bedenken werden nun auch von Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach gestützt, der ein weiteres Scheitern an verfassungsrechtlichen Fragen vermeiden will. Sodan erkennt in den einzelnen Gesetzesteilen eine Missachtung der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, systemwidrige Regelungen und diverse Grundgesetzverstöße. Sein Kollege Peter Oberender, Volkswirtschafts-Professor in Bayreuth, ist von der Regierung enttäuscht, da sie keine wirkliche Reform vorgelegt habe.
Mit dem Umlageverfahren würden die Jüngeren gegenüber den Älteren benachteiligt. Denn wer heute 25 Jahre alt ist, zahlt in seinem Leben 132.000 Euro mehr ins soziale Sicherungssystem ein, als er herausbekommt. Ein heute 65-Jähriger aber erhält 228.000 Euro mehr, als er eingezahlt hat. Der Gesundheitsökonom kritisiert auch das Wettbewerbstärkungsgesetz, "das eigentlich ein Wettbewerbschwächungsgesetz ist". Prof. Oberenders Prognose: Die Gefahr der Einheitskasse besteht, "in der Reform ist mehr Staat als Markt".
Hintergrundinformationen: Beispiele für Gesetzeswidrigkeit der Reform
Beispiel AVWG: Das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung sorgt dafür, dass Ärzte, die wenig Medikamente verschreiben, belohnt werden. Für Professor Helge Sodan, Direktor des Instituts für Gesundheitsrecht, der Weg ins klassische Dilemma. Hält ein Arzt den vorgegebenen Finanz-Rahmen ein, macht er sich eventuell gegenüber seinem Patienten wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar und gleichzeitig schadensersatzpflichtig. Überschreitet er wegen therapeutischer Notwendigkeiten den Schwellenwert, nimmt ihn die Krankenkasse in Regress. Außerdem sieht der Wissenschaftler die grundgesetzlich geschützte ärztliche Therapiefreiheit als Teil der Beraufsausübungsfreiheit bedroht.
Beispiel GKV-WSG: Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz sieht die verpflichtende Einführung eines Basistarifs vor. Dieser Basistarif sorgt dafür, dass die Versicherten, die in eine private Versicherung wechseln, dies ohne die obligatorische Risikoprüfung tun können. Die Privatversicherer sind jedoch darauf angewiesen, das "Risiko", das ein Versicherter mitbringt, so gut abzuschätzen, dass im Falle von Krankheiten der Versicherte nicht mehr kostet, als er einbezahlt. Wer aber per Basistarif ohne Prüfung in eine Private Krankenkasse kommt, kann letztlich den anderen Versicherten schaden, die für die Kosten aufkommen müssen.
Kinder sind in der Gesetzlichen Krankenversicherung kostenlos mitversichert. Das dazu notwendige Geld soll künftig teilweise aus Steuermitteln aufgebracht werden - im Gegenzug sinken die Tarife. Im Klartext: Ein gesetzlich Versicherter zahlt über den Umweg Steuer mehr Geld, kann aber beim Tarif sparen. Privat Versicherte müssen für ihre Kinder weiterhin einen ganz normalen Beitrag bezahlen. Und zusätzlich bezahlen sie per Steuer die gesetzlich versicherten Kinder mit. "Diese Ungleichbehandlung ist nicht verhältnismäßig", so der Berliner Verwaltungsrechtler Sodan. Das Grundgesetz fordere, alle Kinder zu fördern - ohne zwischen gesetzlich und privat Versicherten zu unterscheiden.
Es ist auch noch umstritten, ob der Gesetzgeber den ausgehandelten Sanierungsbeitrag der Krankenhäuser zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenkassen überhaupt erheben darf. Laut Sodan handelt es dabei nämlich um keine Steuer, sondern um eine Sonderabgabe, die allerdings nicht gruppennützig ist.
Originaltext: politikerscreen.de Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=56921 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_56921.rss2
Pressekontakt: Redaktion politikerscreen.de, Tel.: 030/59003440
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
45344
weitere Artikel:
- DStGB zur Gesundheitsreform: Sonderopfer für Krankenhäuser und Rettungdienste erfolgreich abgewehrt Berlin (ots) - Der Deutsche Städte- und Gemeindebund begrüßt die heutige Entschließung des Bundesrates, den geplanten Sanierungsbeitrag für Krankenhäuser sowie die Kürzungen bei Krankenfahrten und Rettungsdiensten im Zuge der geplanten Gesundheitsreform abzulehnen. "Dieses nicht gerechtfertigte Sonderopfer in Höhe von 500 Mio. Euro hätte die Krankenhäuser teilweise in den Ruin getrieben. Das gilt insbesondere auch für die kommunalen Krankenhäuser der Erstversorgung in der Fläche, die bei einer alternden Gesellschaft unverzichtbarer mehr...
- Petra Pau: Offene Antwort an MdB Arnold Vaatz Berlin (ots) - Sehr geehrter Herr Vaatz, Sie haben sich mit einem offenen Brief an mich gewandt. Offene Briefe beantworte ich normalerweise nicht, da sie ja weniger an mich, sondern vielmehr an die Medien in der Hoffnung auf eine bestimmte Wirkung gerichtet sind. Anderenfalls hätte ich Ihren Brief ja auch von Ihnen bekommen und nicht zufällig im Ticker gefunden. Da Sie meine diesbezügliche Einstellung offenbar nicht kennen, mache ich diesmal eine Ausnahme und antworte Ihnen dennoch. Sie verweisen auf eine Anzeige, die ich zum Tode mehr...
- Bleser/Mortler: Qualität geht vor Geschwindigkeit Berlin (ots) - Anlässlich der anstehenden Entscheidung zur Novellierung der EG-Öko-Verordnung im EU-Agrarrat in der kommenden Woche erklären der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Bleser MdB und die zuständige Berichterstatterin, Marlene Mortler MdB: Bei der Sitzung des Agrarrates am 19./20. Dezember 2006 steht die Novelle der EG-Öko-VO 2092/91 auf der Tagesordnung. Da der aktuelle Stand der Novelle weitreichende Mängel aufweist, muss die Entscheidung mehr...
- Darfur: Erneute Gewalt bedroht weltweit größten Hilfseinsatz 480.000 Menschen verstärkt in Gefahr nach Evakuierung von 250 Helfern Inständiger Ruf von Hilfsorganisationen nach Waffenruhe Berlin (ots) - Berlin, 15. Dezember 2006 Für fast eine halbe Million Menschen ist seit Anfang Dezember der Zugang zu humanitärer Hilfe infolge militärischer Angriffe, Überfälle durch kriminelle Banden und unmittelbarer Gewalt gegen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen zunehmend gefährdet. Die bedrohliche Sicherheitslage hat dazu geführt, dass 250 Helfer aus zentralen Orten in ganz Darfur, die rund 480.000 Menschen versorgten, vorübergehend evakuiert werden mussten. Die Helfer stehen größten Schwierigkeiten gegenüber, bei ständig ansteigenden mehr...
- Bernhardt/v. Stetten: Reform des Gemeinnützigkeitsrechts überfällig Berlin (ots) - Zur geplanten Veröffentlichung eines Referentenentwurfs zur Reform des Gemeinnützigkeitsrechts erklären der finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Otto Bernhardt MdB, sowie der zuständige Berichterstatter der CDU/CSU Bundestagsfraktion im Finanzausschuss, Christian Freiherr von Stetten MdB: Die Förderung des Ehrenamts und gemeinnütziger Tätigkeiten ist ein Grundanliegen der Union. Daher haben wir uns auch mit aller Vehemenz dafür eingesetzt, die Verbesserung der Vorgaben des Gemeinnützigkeitsrechts mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|