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Menschenwürde als Maßstab der Europapolitik ./. Rat der EKD äußert sich zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Geschrieben am 29-12-2006

Hannover (ots) - Aus Anlass der EU-Ratspräsidentschaft der
Bundesrepublik Deutschland hat der Rat der Evangelischen Kirche in
Deutschland (EKD) in einer Erklärung betont, dass "für den
christlichen Glauben die Menschenwürde unbedingten Charakter habe."
Sie leite sich nicht aus Leistungen ab, sondern sei jedem Menschen
von Gott zuerkannt worden. Sie gelte universell und beziehe sich auch
auf die, "die sich nicht artikulieren können: Ungeborene, Behinderte,
Sterbende" heißt es in der Erklärung, die zwischen den Jahren
veröffentlicht wird.

Die EKD trete unverändert dafür ein, dass in den europäischen
Verfassungsvertrag ein ausdrücklicher Bezug auf die Verantwortung vor
Gott und auf die Bedeutung der jüdisch-christlichen Tradition
aufgenommen wird. Der Rat sieht in dem Europäischen
Verfassungsvertrag und der Grundrechtecharta einen wichtigen Ansatz
dafür, das Eintreten für Grundrechte und Demokratie als gemeinsame
Verpflichtung wahrzunehmen, heißt es in der Erklärung. Der Rat der
EKD erwartet, dass europäische Politik am Maßstab der Menschenwürde
und eines ihr entsprechenden Menschenbildes ausgerichtet werde. So
dürfe Bildung nicht allein auf den Erwerb von beruflichen Kompetenzen
reduziert werden, sondern umfassend und über die Einsetzbarkeit von
Menschen hinausgehend organisiert werden.

Eine "faire, effektive und transparente Zuwanderungspolitik" wird
vom Rat ebenso gefordert wie der Einsatz für die Menschenrechte auch
in den Nachbarstaaten der EU. Als weitere Beispiele werden in dem
Schreiben die globale Armutsbekämpfung und eine verantwortliche
Energiepolitik verbundne mit einem aktiven Klimaschutz.

Hannover/Berlin, 29. Dezember 2006
Pressestelle der EKD
Christof Vetter

Nachfolgend im Wortlaut:

Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
aus Anlass
der Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland
in der Europäischen Union

I.

Seit dem Jahr 1989 haben sich die politischen Verhältnisse in
Europa tiefgreifend gewandelt. Zahlreiche Länder, die nicht nur von
Westeuropa aus jenseits des Eisernen Vorhangs lagen, sondern auch
einen politischen Gegensatz zu den Europäischen Gemeinschaften
bildeten, haben ihren Beitritt zur Europäischen Union erklärt. Der
Dank für diesen friedlichen Wandel verbindet sich mit einer
entsprechenden Verpflichtung für die Zukunft. Für den weiteren Weg
der Europäischen Union ist es entscheidend, dass die 27
Mitgliedsstaaten sich als eine Wertegemeinschaft verstehen und eine
verlässliche europäische Politik nach innen wie nach außen gemeinsam
verantworten. Schon heute beruht Europa auf den gemeinsamen
Grundwerten von Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und
Menschenrechten. Fundament dieser europäischen Grundwerte ist die
Garantie der Menschenwürde. Ihr Ziel ist ein Zusammenleben in Frieden
und Solidarität.

Für den christlichen Glauben hat die Menschenwürde unbedingten
Charakter. Sie leitet sich weder aus bestimmten Eigenschaften noch
aus bestimmten Leistungen der Menschen ab. Sie ist vielmehr eine
Würde, die jedem Menschen von Gott zuerkannt wird. Sie gilt
universal, also auch für den, der sich für ihre Begründung und
Herleitung auf andere Quellen als diejenigen des Glaubens beruft. Sie
bezieht sich auch auf die, die sich nicht artikulieren können:
Ungeborene, Behinderte, Sterbende.

Zu den Konsequenzen dieser Würde gehört, dass der Mensch in keiner
Phase seines Lebens nur unter dem Gesichtspunkt seiner Nützlichkeit
oder Brauchbarkeit betrachtet werden kann; er darf niemals bloß als
Mittel zum Zweck angesehen werden. Wenn mit der Übernahme der
EU-Ratspräsidentschaft durch Deutschland im ersten Halbjahr 2007
zugleich das "Europäische Jahr der Chancengleichheit für alle"
beginnt, so findet dieser Gedanke hierin einen konkreten Ausdruck.

Die christlich-jüdische Tradition hat die Entwicklung der
Grundwerte der Europäischen Union wesentlich geprägt. Diese
Grundlagen müssen immer wieder neu verdeutlicht und verstärkt ins
Bewusstsein gehoben werden. Denn die Bürgerinnen und Bürger werden
sich mit der Europäischen Union nur in dem Maß identifizieren, in dem
sie sich auf die Achtung ihrer jeweiligen Kultur, Religion und
Geschichte verlassen können.

Die Evangelische Kirche in Deutschland sieht in dem Europäischen
Verfassungsvertrag und der Grundrechtecharta einen wichtigen Ansatz
dafür, das Eintreten für Grundrechte und Demokratie als gemeinsame
Verpflichtung wahrzunehmen. Sie tritt unverändert dafür ein, dass in
den europäischen Verfassungsvertrag ein ausdrücklicher Bezug auf die
Verantwortung vor Gott und auf die Bedeutung der jüdisch-christlichen
Tradition aufgenommen wird.

II.

Europäische Politik nach diesen Wertvorstellungen zu gestalten
heißt, sie am Maßstab der Menschenwürde und eines ihr entsprechenden
Menschenbildes auszurichten. Dazu gehört es, Bildungschancen für alle
zu eröffnen und Befähigungsgerechtigkeit insbesondere für die junge
Generation zu verwirklichen. Gerade in diesem Bereich müssen
Benachteiligungen überwunden statt verfestigt werden. Die Beachtung
der Menschenwürde lässt es nicht zu, dass der Bildungsanspruch jedes
Menschen auf den Erwerb von beruflichen Kompetenzen reduziert wird.
Bildung ist vielmehr umfassend und geht über die Einsetzbarkeit von
Menschen im Dienst der globalen Konkurrenzfähigkeit eines Landes
hinaus.
Aus dem Respekt für die gleiche Würde jedes einzelnen ergibt sich
auch die Verpflichtung, eine stabile Sozialordnung zu entwickeln, die
den sozialen Frieden gewährleistet und auch schwache, benachteiligte,
behinderte und alte Menschen einbezieht. Diese Aufgabe ist ebenso
wichtig wie die Gestaltung einer Wettbewerbsordnung, die gute
Rahmenbedingungen für effektives wirtschaftliches Handeln schafft.

In den Kriegen des letzten Jahrhunderts haben viele Menschen unter
Gewalt, Armut und Vertreibung gelitten. Gerade deshalb kommt der
Europäischen Union eine besondere Verantwortung für Menschen zu, die
als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention oder als
anderweitig Verfolgte internationalen Schutzes bedürfen. Die
Europäische Union darf sich nicht wie eine "Festung" abschotten. Die
weitere Harmonisierung der europäischen Asylsysteme ist dringlich.
Internationale Menschenrechtsstandards und die Wahrung der
Menschenwürde sind unverletzliche Grundlagen auch beim Umgang mit
irregulären Einwanderern. Eine gemeinsame faire, effektive und
transparente Zuwanderungspolitik sowie die Verbesserung der
Rechtsstellung von Flüchtlingen, Zuwanderern und Menschen ohne
regulären Aufenthaltsstatus sind dringend notwendig.

Mit ihrer Nachbarschaftspolitik will die Europäische Union zur
Stabilisierung Europas jenseits der neuen Außengrenzen einen "Ring
befreundeter Länder" mit zunehmend engeren Beziehungen aufbauen, ohne
dass diese Staaten der EU beitreten. Bei der Weiterentwicklung dieser
Politik müssen neben der Vertiefung der wirtschaftlichen Kooperation
die Menschenrechte sowie der Kampf gegen Menschenhandel stärkeres
Gewicht erhalten. In der politischen Zusammenarbeit muss dabei
vorausgesetzt werden, dass diese Nachbarstaaten als offene
Gesellschaften verfasst sind, die unterschiedlichen Lebensformen und
Lebensentwürfen Raum geben.

Die Europäische Union wird in wachsendem Maß globale Verantwortung
wahrnehmen. Wir befürworten, dass die Europäische Union in der
Entwicklungszusammenarbeit die Armutsbekämpfung als vorrangiges Ziel
anerkennt. Wir treten für eine entwicklungspolitisch stimmige
Gestaltung aller Politikbereiche ein.

Der Klimawandel macht deutlich, dass uns eine Erde mit begrenzten
Ressourcen anvertraut ist und wir den Folgen unseres Lebensstils
nirgendwo entkommen. Energiepolitik muss als aktiver Klimaschutz
verstanden werden und sollte sich daher nicht allein an den Zielen
von Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit ausrichten.
Vielmehr muss der Nachhaltigkeit höchste Priorität eingeräumt werden,
damit die Lebensgrundlagen der kommenden Generationen nicht heute
aufgebraucht werden. Dem dienen insbesondere die Entwicklung
erneuerbarer Energien und die Verbesserung der Energieeffizienz.

III.

Seit Jahrzehnten ist die Evangelische Kirche in Deutschland
eingebunden in kirchliche europäische Netzwerke, insbesondere als
Mitglied der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der
Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE). In diesen, die
Grenzen überschreitenden Gemeinschaften leisten die europäischen
Kirchen in Begegnungen, Partnerschaften, Dialogen und Projekten
vielfältige Beiträge zur Vertiefung einer europäischen
Wertegemeinschaft und zum Zusammenwachsen unseres Kontinents. Die
ökumenische Gemeinschaft der Kirchen ist ein Modell für die Einheit
in versöhnter Verschiedenheit, wie sie in Europa gebraucht wird. Die
3. Europäische Ökumenische Versammlung in Sibiu/Hermannstadt im
September 2007 wird unter dem Thema stehen: "Das Licht Christi
scheint auf alle - Hoffnung auf Einheit und Erneuerung für Europa".
Damit wird ein zentrales Motiv unseres christlichen Glaubens
aufgenommen, das wir in die europäische Wertegemeinschaft einbringen:
Christus als Licht der Welt zeigt uns den Weg dazu, für Menschenwürde
und Menschenrechte sowie für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung
der Schöpfung einzutreten.

Hannover, im Dezember 2006

Originaltext: EKD Evangelische Kirche in Deutschland
Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=55310
Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_55310.rss2

Pressekontakt:
Evangelische Kirche in Deutschland
Hans-Christof Vetter
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: christof.vetter@ekd.de


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