WAZ: Auf Lebenslüge folgt Unehrlichkeit: Die Union steckt im Kulturkampf - Leitartikel von Hendrik Groth
Geschrieben am 18-02-2007 |
Essen (ots) - Mit "Opposition ist Mist" wollte Franz Müntefering seinen Parteifreunden klar machen, worum es in der Politik geht und warum man überhaupt Politik macht. Oder ganz kurz: Man braucht Macht, um gestalten zu können. Für die Union könnte dieser Hinweis mittlerweile auch hilfreich sein, allerdings leicht abgewandelt: Hat man die Macht, muss man auch gestalten können.
Jürgen Rüttgers hat mit den "Lebenslügen", von denen die CDU Abschied zu nehmen habe, verdeutlicht, dass es bei den Christdemokraten Nachholbedarf gibt. Oppositionszeiten können eben auch den Blick auf notwendige Debatten in einer sich verändernden Gesellschaft verbauen. Der alltägliche Angriff auf den Gegner suggeriert zu Unrecht programmatische Sicherheit in den eigenen Reihen. Jahrelang haben die Christdemokraten in der Opposition über Rot-Grün gefeixt, häufig nicht grundlos handwerkliche Mängel kritisiert. Aber wenigstens wusste Rot-Grün in den Grundzügen, wo man hin wollte.
Jetzt hat die Union den Richtungsstreit, der vergleichbar mit den Konflikten ist, die in der SPD wegen der Agenda 2010 ausgebrochen waren. Die Definition der sozialen Gerechtigkeit ist für Sozialdemokraten wahrscheinlich der wichtigste Pfeiler in ihrer Programmatik. Darüber zu diskutieren, kann und konnte nicht emotionslos ablaufen. Für die Union ist ein solcher Pfeiler das Familienbild und wie vor kurzem in der SPD spielt sich nun bei CDU/CSU ein Kulturkampf ab.
Jahrzehntelang christlich und konservativ geprägt, war die Rollenverteilung innerhalb der Familie klar. Männer wie Heiner Geißler holten sich in den 80er Jahren blutige Nasen, wenn es darum ging, Familie und Beruf leichter zu vereinbaren. Jetzt macht Familienministerin Ursula von der Leyen ernst und verlangt deutlich mehr Krippenplätze für Kinder unter drei Jahren. Beistand kommt von Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff. "Unehrlich" sei die Haltung dazu bislang in der Union. Mit anderen Worten: eine Lebenslüge.
Die Parteiführung hat sich mehrheitlich hinter die Ministerin gestellt. Doch an der Basis rumort es wegen diverser Richtungswechsel, nicht nur wegen der Familienpolitik. Denn gerade bei Konservativen klingt Krippe häufig wie DDR, Krippe bedeutet hier Zwang, Krippe stellt Staat vor Familie. Hinweise, ein Krippenplatz sei nur ein Angebot, werden allenfalls misstrauisch zur Kenntnis genommen. Die Zeit der Auseinandersetzungen ist gekommen.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=55903 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_55903.rss2
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