Südwestrundfunk (SWR) Programmhinweis für Freitag, 09.03.07 (Woche 10)
Geschrieben am 06-03-2007 |
Baden-Baden (ots) - Freitag, 9. März 2007 (Woche 10)/06.03.2007
22.00 Nachtcafé Gäste bei Wieland Backes Fremde Heimat Deutschland - Ist die Integration gescheitert?
Wir lieben das Essen beim Asiaten, lassen unsere Wohnungen und Büros von Türken reinigen, unsere Kinder und Alten von Frauen aus Osteuropa betreuen. Menschen aus aller Herren Länder haben in Deutschland Arbeit und eine neue Heimat gefunden - dennoch sind wir uns fremd geblieben. Mehr noch: Probleme mit Migrantenjugendlichen in sozialen Brennpunkten, aber auch die schwierige Auseinandersetzung mit dem Islam belegen eher ein Gegen- als ein Miteinander. Und nicht wenige stellen sich die Frage, ob sich Zuwanderer überhaupt integrieren lassen wollen, schotten sie sich und ihre Familien doch häufig von dem deutschen Kultur- und Alltagsleben ab. Trotz Einbürgerungsversuchen und den Ideen einer multikulturellen Gesellschaft gelingt es uns anscheinend nicht, Migranten in unsere Gesellschaft einzubinden. Ist das Projekt Integration zum Scheitern verurteilt? Wie gelingt es uns, aus der fremden Heimat eine gemeinsame Heimat Deutschland zu machen?
Gäste: Für Volker Bouffier ist die Sache klar: Wer nach Deutschland einwandert, muss sich anpassen und unsere Werte anerkennen! Ansonsten ist die Integration zum Scheitern verurteilt, da ist der hessische Innenminister sicher. Um festzustellen, ob sich die Migranten der deutschen Gesellschaft wirklich verbunden fühlen, plädiert er für einen sogenannten "Wissens- und Wertetest". Nur so kann es in seinen Augen gelingen, Parallelgesellschaften aufzubrechen und den Einheimischen Ängste vor Fremden zu nehmen. Er meint: "Viele Einwanderer sperren sich gegen unsere Kultur."
Dennenesch Zoudé hat die gegenteilige Erfahrung gemacht: In ihren Augen liegen die Integrationsprobleme eher auf deutscher Seite. Die Schauspielerin kam als Kleinkind mit ihren Eltern aus Äthiopien nach Berlin: Von Anfang an war die Familie an der deutschen Kultur interessiert, es wurde nur Deutsch gesprochen, die hiesigen Werte wurden angenommen. Trotzdem spürt die 40-Jährige mit deutschem Pass, dass man hier mit fremdem Namen und dunkler Hautfarbe immer "die Ausländerin" bleibt. Ihr Weg damit umzugehen: "Ich habe mir eine Schale zugelegt. Man kann nicht überleben, wenn man permanent der Außenseiter ist."
Barfuß und mit einem einzigen Kleid kam Nadia Qani vor 26 Jahren am Frankfurter Flughafen an. Sie war vor dem Krieg aus Afghanistan geflüchtet und konnte kein Wort Deutsch. Heute leitet sie ihren eigenen Pflegedienst und beschäftigt Menschen aus mehr als zehn Nationen. 2005 wurde sie zur "Frankfurterin des Jahres" gewählt. Obwohl Nadia Qani noch nie Urlaub machen konnte, ist sie glücklich: "Frankfurt ist heute mein Zuhause!" Sie wünscht sich nichts sehnlicher, als dass auch Kabul eines Tages eine so weltoffene Stadt wird.
Prof. Werner Schiffauer ist davon überzeugt, dass viele Einwanderer alles daran setzen, einen Platz in Arbeitsleben und Gesellschaft einzunehmen. Wenn die Integration scheitert, dann liege es oft an den Deutschen: Sie begegnen allem Fremden mit Skepsis, Angst und offener Ablehnung. Dabei sei das Beibehalten der eigenen Kultur für viele Einwanderer sehr wichtig. So hätten Muslime ohne ihr Gebet in der Moschee oft nicht die Kraft zur Jobsuche. Auch von Leitkulturdebatten und Einbürgerungstests hält der Kultur- und Sozialanthropologe der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) deshalb nichts. Seine Meinung: "Mit Forderungskatalogen gewinnt man keine Herzen!"
Mehr als 40 Jahre trug Emel Abidin Algan den Kopf bedeckt und lebte in einer streng islamischen Gemeinschaft - mitten in Deutschland. Die Tochter des Gründers der orthodox-islamischen Glaubensgemeinschaft Milli Görüs fügte sich in eine arrangierte Ehe und bekam sechs Kinder. Ihr Studium blieb auf der Strecke, als sie den Islamischen Frauenverein leitete. Mit 44 Jahren dann der Aufbruch: Emel Abidin Algan hielt es unterm Kopftuch nicht mehr aus. Seither ist alles anders: Viele Muslime haben sich von ihr abgewandt, auch aus der eigenen Familie. Dafür genießt Algan neue Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben.
Joachim Swietlik hat Angst, die Parallelgesellschaft bald vor der eigenen Haustüre zu haben: Direkt neben seiner Wohnung im beschaulichen Berlin-Heinersdorf soll die erste Moschee im Osten Berlins entstehen. Vor gut einem Jahr hat er eine Bürgerbewegung ins Leben gerufen, um sich gegen den Bau des muslimischen Gotteshauses zu wehren. Der 43-Jährige befürchtet, dass mit der Moschee und ihren Besuchern das Mittelalter Einzug in sein Viertel hält. Er bezweifelt, dass die beiden Kulturen sich annähern werden: "Wir suchen den Dialog, aber die Muslime weisen immer auf ihr Anderssein hin."
An der Bar: Als Kleinkind kam Senay Duzcu mit der Familie aus der Osttürkei nach Deutschland. Ihr Vater versuchte alles, um die einzige Tochter vor vermeintlich verderblichen Einflüssen abzuschotten: Sie durfte keine deutschen Mitschüler besuchen, immer mussten die älteren Brüder auf sie aufpassen. Aus dieser angstbestimmten Atmosphäre konnte Senay Duzcu ausbrechen: Dank Abitur und Studium erwarb sie sich den Respekt der Familie. Heute steht sie als erste deutsch-türkische Kabarettistin auf der Bühne und sagt: "Die Integration ist wie eine emotional gestörte Ehe: Türken haben tausend Worte für Empfindungen, die Deutschen sind Weltmeister im Analysieren!"
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Ursula Foelsch, Tel. 0 72 21 / 9 29 - 22 85.
Originaltext: SWR - Südwestrundfunk Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=7169 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_7169.rss2
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