WAZ: Der Bundestag und der Patient: Unser Tod - Leitartikel von Ulrich Reitz
Geschrieben am 29-03-2007 |
Essen (ots) - Man muss es nicht gut finden, wenn jetzt sogar der Deutsche Bundestag streitet über Leben und Tod. Den Versuch, das Sterben juristisch zu regeln, findet sicher nicht nur Helmut Schmidt typisch deutsch. Ausfluss des Irrtums, alles werde gut, wenn man nur ein Gesetz verfasst.
Was bedeutet es eigentlich, wenn schon jetzt rund acht Millionen Menschen in Deutschland eine Patientenverfügung geschrieben haben? Ganz offensichtlich misstrauen sehr viele Menschen der Medizin, ob zu Recht oder zu Unrecht, kann nicht beantwortet werden, schon gar nicht hier an dieser Stelle. Der medizinische Fortschritt hat eben seine zwei Seiten: Er verlängert vielen Menschen das Leben, auch eines in Würde, macht einen oft genug dankbar Staunen. Aber die Medizin verschiebt kontinuierlich die Grenze zwischen Leben und Tod. Weil das so ist, fürchten viele Menschen nicht nur, irgendwann nicht mehr die Herrschaft ausüben zu können über ihren Willen, sondern dass ihr Wille keine Herrschaft mehr ausübt auf andere, Verwandte, am Ende aber doch vor allem Ärzte. Es stellt dem medizinischen Komplex insgesamt ein schlechtes Zeugnis aus, wenn viele Menschen zweifeln, ob er in der wohl ausschlaggebendsten aller Situationen zu einer richtigen Entscheidung in der Lage ist.
Es gibt keine einfache Lösung. Der Hippokrates-Eid bestimmt, der Arzt dürfe seinem Patienten nicht schaden. Aber nutzt oder schadet er seinem Patienten, wenn er dessen als schmerzhaft würdelos empfundenes Leben verlängert? Und wer entscheidet darüber? Unverkennbar haben sich jedenfalls die moralischen Maßstäbe verschoben. Der Wunsch nach Selbstbestimmung wächst, der nach enger Beachtung eines christlichen Wertekanons nimmt ab, die besondere deutsche Geschichte verliert ihre Prägekraft. Nun muss Politik dem Wertewandel nicht folgen, aber auch "Lebensschützer" könnten bedenken, dass ein zunehmender Sterbe-Tourismus jedenfalls alles andere als eine würdevolle Antwort auf die Verzweiflung vieler Menschen ist.
Gut an der Diskussion ist, dass sie stattfindet. "Wie wollen Sie sterben", fragte die Zeit. Eine wunderbare Antwort gab, unter Rückgriff auf Helmut Gollwitzer, Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, der Arzt der Fußball-Nationalmannschaft. "Ich möchte nicht sterben ohne Hoffnung, dass nach dem Lebensende eine vollendete Liebe, Licht und Klarheit auf mich warten und für immer mich umgeben, dass nichts vergessen bleibt und alles noch einmal zur Sprache kommt." Die Bedingung für einen derart erfüllten Übergang zu schaffen, wäre mehr Aufgabe von Ärzten als Politikern.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=55903 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_55903.rss2
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